Etwas an der Dresden / Chemnitz – Debatte finde ich irritierend. Es sind die Diskussionen darüber, ob die Menschen, die in Dresden /Chemnitz in den vergangenen Wochen demonstrierten, nun Rechte und Nazis waren, oder nicht. Zu welcher Bevölkerungsgruppe die rassistisch besorgten BürgerInnen denn nun gehören? Sind sie Rechte oder Nazis oder was sind sie. Sie brüllen „absaufen“ und „Deutschland den Deutschen“, sie klatschen zu rassistischen Sprüchen, aber sie wollen keine Rechten sein. Was soll das? Sollen wir künftig von den Chemnitzer Ausländerfeinden sprechen? Klingt vielleicht niedlicher, harmloser als Nazi und Rassist. Warum steht ihr nicht einfach zu dem, was ihr tut? Oder gehört das zu den Verwirrspielen eurer intellektuellen Faktenverdreher?

Seit Jahren werden Menschen, die für Demokratie und Menschenrechte demonstrieren, ungefragt in die Linke bzw. Linksextreme Ecke gestellt. Das ist unschön, aber was solls. Gefällt mir nicht, ist aber nur ein Randproblem. Zumindest solange, bis die Polizei die Wasserwerfer zum Einsatz bringt. Davor waren die DemonstrantInnen in Dresden /Chemnitz doch geschützt. Wäre ja auch unmöglich zu begründen, Wasserwerfereinsatz wegen ein paar stramm in die Luft gehobener Arme. Aber ich schweife ab. Ich meine, den Rechten BürgerInnen, die im Schulterschluss mit Nazis und Antidemokraten, ihren Rassismus und ihre Demokratiefeindlichkeit – als Angst und Besorgnis getarnt – auf die Straße speien, sollte klar sein, wo er/sie sich positioniert. Wer mit Rechtsextremen (Nazis) freiwillig auf die Straße geht, muss sich gefallen lassen, als das benannt zu werden, wo er/sie sich hinzugesellt. Aber insgesamt halte ich das für eine Scheindebatte.

Können wir bitte endlich über die wirklich wichtigen Fragen sprechen? Können endlich einmal darüber reden, wie wir künftig gemeinsam weiter in diesem Land leben wollen? Mit all den Sortierungen Links, Rechts, Oben, Unten, Mitte, religiös, nicht religiös, gebildet, ungebildet, Stadt oder Land, arm, reich, dick, dünn und all den anderen Schubladen die wir uns so ausdenken. Wir alle haben doch nur ein Leben. Nur Wenige können sich leisten auszuwandern und Wenige glauben an Wiedergeburt. Welche Möglichkeiten also haben wir miteinander zu leben? Wollen wir uns alle gegenseitig wegsperren oder gar totschlagen, nur weil wir Dinge grundverschieden sehen, empfinden? (Nur um nicht missverstanden zu werden: Wer eine Straftat begeht, gehört weggesperrt und sei es nur, damit er/sie Zeit zum Nachdenken hat.) Ich glaube, fast alle – egal zu welcher Schublade gehörend – sind sich einig (wenn auch aus verschiedenen Gründen, Motivationen), dass es so wie es jetzt ist, nicht weitergehen kann. Unsere Gesellschaft scheint gerade in eine Phase der frühkindlichen Lust an der Zerstörung zu regredieren. Eine Phase, in der alle von ihrem kindlichen Bedürfnistrieb beherrscht werden, der noch keine Affektsteuerung, keine Geduld kennt und keine Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse anderer. (Keine Sorge, ich nehme mich da nicht aus. In der einen oder anderen Diskussion nehme ich diese Regression auch an mir wahr.) Können wir bitte anfangen darüber nachzudenken und zu reden, wie ein Miteinander sein könnte und dabei akzeptieren, dass es dazu erst einmal sehr viele verschiedene Ideen gibt? Können wir bitte aufhören zu brüllen und zu schreien, zu hetzen, prügeln und zerstören? Können wir uns bitte auf die Festschreibungen des Grundgesetzes besinnen? Oder, wenn das nicht gelingt, vielleicht müssen wir Deutschland dann wieder teilen? Ein Land für Demokraten und eines für alle, die sich eine Diktatur wünschen. (Mit letzterem meine ich jetzt nicht die linksgrünversiffte Gesinnungsdiktatur, die subsumiere ich einfach mal als einen Bestandteil der Demokratie.) Die Größe des jeweiligen Landes ist dem Bevölkerungsanteil entsprechend. Ein ’sauberes‘ Deutschland, frei von allem was anders denkt, aussieht, riecht, als der Biodeutsche. (Aber bevor wir das Land teilen, wäre ich für den Versuch, an Schulen den DNA-Test einzuführen. Der aus dem sich ablesen lässt, wo das jeweilige Kind seine genetischen Wurzeln hat. Das wäre für viele eine Überraschung, vielleicht müssten sie dann die eigenen Kinder oder sich selbst hassen) Ein Land, indem der weiße, deutsche Mann wieder das Sagen hat und die Frau sich aufs Gebären und Versorgen reduzieren lässt? (Macht sie dann ja freiwillig, denn an Tag X entscheidet jede und jeder in welchem Deutschland er/sie leben will). Das andere Land ist ein wenig chaotischer, vielleicht sogar ein wenig unregulierter, als das heutige Deutschland. Ein buntes, freies, am Miteinander interessiertes Deutschland, in dem geliebt, gestritten und nach Lösungen gesucht wird. In dem Fehler keine Schmach und Sünde sind, sondern Möglichkeit des effektiven Lernens. Um die jeweiligen Landstriche wird dann gewürfelt. Ich würde mich ganz unbedingt zur Demokratie bekennen und wäre sehr traurig, sollte die Demokratie die wunderbare Ostsee, den Thüringer Wald oder das traumhafte Elbsandsteingebirge verlieren.

Überhaupt fände ich diese Teilung grauselig. Ich will nicht weg aus diesem lebendigen Leipzig. Eine bessere Idee als diese Teilung habe ich nicht. Aber ich bin ja zum Glück nicht allein. Wir sind viele, die in diesem Land leben. Also falls jemand andere und vor allem bessere Ideen hat, lasst uns anfangen zu suchen. Wir müssen uns alle nicht lieben, wir müssen uns nicht einmal mögen. Grundvoraussetzung für das gemeinsame Leben ist Akzeptanz. Zu akzeptieren, dass wir, bei allem was uns trennt, alle im Bauch einer Frau genährt wurden, alle in der Kindheit von mehr oder weniger liebenden Erwachsenen abhängig waren und uns am früheren oder späteren Ende unseres Lebens irgendwann von dieser Welt verabschieden müssen oder wollen. Dazwischen liegt das, was wir Leben nennen. Das kann Jeder /Jede gestalten oder auch nicht. Von der Verantwortung der eigenen Lebensgestaltung kann und wird uns niemand befreien. Kein Politiker, keine Journalistin, keine Chefin, kein Ehemann, kein Priester und keine Göttin. Und auch wenn mir das alles (Fremdenfeindlichkeit, Rohheit, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Gewalt), was jetzt gerade in unserer Gesellschaft los ist (oder schon lange mehr oder weniger verdeckt vorhanden war), wirklich immens auf die Nerven geht, ob ich will oder nicht, es geht auch mich etwas an, denn ich bin, so lange ich lebe, Teil dieser Welt, dieser Gesellschaft. Und nein, ich fange jetzt nicht auch noch mit den Kindern und Kindeskindern an, denen wir diese Welt, dieses Land hinterlassen. Das wird ein anderer Text.

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