Auf dem Jacobsweg in Deutschland
Ab dem 20.5. erfülle ich mir einen langgehegten Traum: Pilgern auf dem Jacobsweg. Einmal einfach so loslaufen wie Forrest Gump. Na gut, nicht joggen, sondern pilgern. Einfach so durch Landschaften laufen, egal ob es regnet oder die Sonne brennt. Meinen Gedanken nachhängen und vielleicht ein wenig Schmerz von meiner Seele laufen. Abends in Sonnenuntergänge starren, die wunden Füße pflegen oder den Rücken, Sekt trinken und mit meiner Begleiterin reden oder schweigen. Zusammen allein sein, miteinander den Schweinehund überreden, der da flüstert: nimm doch den Bus.
In 5 Tagen geht es los: 214 km laufen auf dem Jacobsweg von Anklam nach Kühlungsborn – das ist ein kleines Stück auf der Via Baltica, dem baltisch-westfälischen Jakobswegs. Im Vorfeld wurden Karten gewälzt, Pilgerausweise bestellt und eine Route ausgewählt – natürlich die mit den meisten Pilgerunterkünften am Wegesrand. Schließlich wollen wir uns, ungeübt wie wir sind, nicht totlaufen. Es soll trotz aller Anstrengung ein Urlaub werden.
Die Wäsche ist gewaschen, in den nächsten Tagen werden die Kraxen gepackt – Ziel: nicht mehr als 10 kg auf dem Rücken pro Frau. Heißt für mich: Verzicht auf jeglichen Luxus, selbst der Föhn wird wohl zu Hause bleiben müssen; und im Gepäck nichts als schnell trocknende Funktionskleidung. Ich bin gespannt, ob mir dieser Verzicht auf liebgewonnene Gewohnheiten schwerfällt. Vielleicht aber gefalle ich mir ja auch in der Rolle des Feldschrates – was ist eigentlich die weibliche Form von Feldschrat? Nur einen Bart wachsen lasse ich mir nicht. Das verspreche ich mir. Alles andere lasse ich auf mich zukommen …
Der Abend vor der Abreise
Ein letzter Hugo vor der Abreise und warten, dass die Zeit vergeht. Noch ein Telefonat mit Ina, ob wir auch an alles gedacht haben. Laut Liste ist alles perfekt, und ja, nach Blick auf die Waage habe ich den 400 g Föhn wieder ausgepackt. Nicht ohne Bedauern.
Noch einmal ein kurzes Gespräch darüber, warum wir uns auf dieses Abenteuer einlassen. Ina, die wandern eigentlich überhaupt nicht mag, möchte die eigenen Grenzen ausloten, überschreiten. Von der Einsamkeit des Laufens erhofft sie, die Lärm- und Trubel-Gewöhnte, sich in der Stille neu zu begegnen. Eine Grenze überschreitet sie schon vor Beginn der Wanderung: 3 Wochen Urlaub am Stück, das hat Ina in den vergangenen 10 Jahren nicht erlebt. Da waren immer nur max. 10 Tage drin. Aber langweilig wird uns ganz sicher nicht.
Was ich mir erhoffe? Dem Schmerz der Trennung davonzulaufen und mich zu lösen von dem Menschen, der mir in den vergangenen Jahren Partner, Freund und Weggefährte war. Betonung liegt auf war und mein Kopf weiß das, nur die Seele weigert sich noch, sich mit den Tatsachen abzufinden. Da hoffe ich doch sehr auf die Unterstützung durch schöne Natur und bewegliche Füße.
Eines weiß ich aber jetzt schon, trotz oder gerade wegen unserer Ziele werden wir keine Trauerkarawane, dafür lachen wir beide viel zu gern …
Jacobsweg Station 1: Anklam
Heute Morgen 9 Uhr starteten wir im Seeblick. Die treuen Familienmitglieder Helene und Olivia begleiteten uns und wurden belohnt mit Milchkaffee, Frühstück und Keks. 10.50 Uhr mit dem IC nach Berlin, 12.33 Uhr mit der überfüllten Regionalbahn nach Anklam. Gegen Kindergequengel: „Ich habe Hunger, aber die Brezel WILL ich nicht!“ und laute Telefonate der Mitreisenden half nur eines: Schlaf.
In Anklam, die Suche nach der Volkshochschule. Stand eindeutig in unserer Wegbeschreibung, nur in Anklam hatte noch niemand etwas von dieser Schule gehört. Gefunden haben wir sie dann doch, allerdings nicht ohne eine gewisse Ehrfurcht gegenüber der anstehenden Wanderung – die 10 und 14 kg schweren Rucksäcke werden wir ganz sicher unterwegs „vergessen“.
Am Nachmittag Spaziergang durch Anklam: einer der trostlosen Orte, die ich in den vergangenen Jahren gesehen habe.
Unser Fazit nach Tag 1:
- „Es kann losgehen!“ (Ina),
- „Bloß weg hier“ (Sylvia) …
Station 2: Brennesselhof in Wangelkow
Die erste Route ist geschafft: 16 km von Anklam über Relzow, Libnow nach Pinnow – an der Kirche war unser Einstieg in den Jakobsweg, abgestempelt im Pilgerpass. Durch Feld und Wald, mit einem kurzen Abstecher über eine Pferdekoppel (inklusive Stromschlag) ging es dann noch knapp vier Kilometer nach Wangelkow. Hier übernachten wir heute am Pinnower See in einer Scheune.
Während ich dies tippe, entzündet Ina ein Lagerfeuer, an dem wir dann genussvoll unser Abendbrot verspeisen werden: drei Käsebrötchen von gestern, zwei Eier, jede einen Apfel. Ich habe mich noch nie derart auf altbackene Brötchen gefreut. Zum Nachspülen gibt es Leitungswasser aus Plastikflaschen und einen kleinen Schluck schottischen Whisky aus dem Flachmann.
Schon nach den ersten Kilometern wurde mir heute der Unterschied zwischen Wandern und Pilgern klar: Wandern ist leichtfüßig, mit kleinem Gepäck, Pilgern ist mühevoll einen Fuß vor den anderen setzen, durch das Gepäck voll Schmerz und Pein. Es gibt Muskeln und Knochen an unseren Körpern, die waren uns bisher unbekannt. Die Füße sind ok, aber Po und Becken sind ramponiert.
Fazit des Tages:
- (Ina) Schöne Landschaft, nette Menschen, zentnerschwerer Rucksack.
- (Sylvia) die ganze Quälerei lohnt sich, wenn wir uns abends gegenseitig Rücken und Po mit Pferdesalbe einreiben. Endlich mal wieder sanft berührt werden 🙂 …
Station 3: Lassan
Aufwachen im Heu und feststellen, dass wir beide in der Nacht immer nur die Kurzschlafphasen genutzt haben. Fazit der im Vorfeld als romantisch fantasierten Nacht: hart, hell, krabbelig ergo unromantisch … Übernachtungen im Heu sind von der To-do-Liste gestrichen … Dafür, dass die Nacht so Sch … war, hat sie pro Person 6,50 € gekostet. Ohne Wasser, ohne Strom, aber mit Lagerfeuer – selbst entzündet. Vor lauter Krabbelei musste ich dann noch mal, auch eine rauchen. (Ina lag im Schlafsack im Heu und rauchte – soviel zum Thema Brandschutz!) in der Dunkelheit sah ich etwas auf mich zulaufen.
Ich rief: „Ina, ein Schwein“.
Sie fragte „Wo?“
Ich (angstvoll) „Kommt auf uns zu!“
Sie: „Wo?“
Ich: „Na hier, ist aber ein Hund!“
Heute Morgen stellte sich dann heraus, dass es Joshi war, der Hund vom Nachbarhof, der uns bewachte. Als würde er den Adrenalinschock, den er mir in der Nacht verpasst hat, wiedergutmachen wollen, hat er uns von Wangelkow 5 km nach Lassan begleitet. Am Ortseingang ist er umgekehrt. Dafür wurden wir auf dem Naturcampingplatz von Kira, der Campingplatzbewacherin begrüßt. Unser Campingwagen, Unterkunft für die Nacht, trägt bezeichnenderweise das Nummernschild HE-XN 101 … Hier ist ein Anglerparadies. Innerhalb von einer Stunde hat ein Angler hier zwei 1 m – Hechte herausgezogen. Ein Stück davon gab es bei mir zum Abendessen, lecker! – Ina mag keinen Fisch, aber wir planen nächstes Jahr den Angelschein zu machen 🙂
Nach 5 km Wanderung und einem verregneten Nachmittag lautet unser Fazit:
- (Ina) Wäre dieser Regen nicht gewesen, wäre ich nicht auf diese wundervollen Menschen (Herrn Richi und Ingo) an der Gräte (Imbiss am Hafen von Lassan) getroffen.
- (Sylvia) Erinnerungen sind Vergangenheit; und das heißt eben: vergangen, vorbei, niente …
Jacobsweg Station 4: Hohendorf
Heute 16 km von Lassan nach Hohendorf gelaufen. Der dritte Tag entpuppte sich als ein Tag der Herausforderungen: Ina mit heftigem Muskelkater, Sylvia mit Schmerzen in beiden Knien. Ohne die gestern gekauften Bandagen hätte ich mich heute nach vier Kilometern heulend an den Rand des Waldweges gesetzt und hätte mich geweigert noch einen Schritt zu gehen. Zum Glück habe ich ja das Organisationswunder Ina an meiner Seite: Miniapotheke geöffnet, Pille geschluckt, Schmerz betäubt.
Heute liefen wir bei 13 Grad vor allem durch Wald und über Feldwege. Raps, wohin wir auch schauten. Sattes Gelb, sattes Grün und gelegentlich leuchtend roter Mohn. Nur drei idyllische Ortschaften durchschlurften wir – ok, ich schlurfte, Ina marschierte, sie hatte heute Morgen wohl Zielwasser statt Kaffee.
Auf einem Feldweg kurz vor Hohedorf, wir machten gerade Rauchpause, hielt ein verbeultes Auto neben uns an und die Frau vom Imbiss Gräte fragte: „Mädels, was macht ihr denn hier?“ ein kurzer Schwatz, bei dem sie uns informierte, dass heute an ihrem Imbiss schon wieder zwei Pilgerer aufkreuzten. Ein Paar aus der Schweiz.
Der kleine Reitstall ist ein ziemlich großer Pferdehof mit allem, was dazu gehört: 16 Pferde, Hasen, Meerschweine, eine Ziege und Hühner. Morgen gibt es zum Frühstück frische Hühnereier. Ein Traum. Frische Hühnereier gehören zu meinen schönen Kindheitserinnerungen. Aber das beste hier: wir schlafen auf Matratzen in richtigen Betten. Endlich mal kein Schlafsack. Und: es gibt einen Fernseher. Also gleich: Muskeln einreiben und dann vor dem Fernseher einschlafen.
Fazit des Tages: (Ina), mit Vivaldi und dem großen Kater namens Muskel besiegte ich meinen inneren Schweinehund, nahm ihn an die Leine und ließ den Blick über Gräser und Blüten zum Horizont schweifen. (Sylvia) Mit Ibuprofen im Blut, Mozart auf den Ohren, Regen im Gesicht und Landschaft im Blick, wird Schmerz ertragbar, die Seele weitet sich und wird von ganz tief drinnen froh.
Station 5: Gladrow
Streckenlänge heute: 13,5 km
Nachdem wir gestern Abend noch eine lange Weile mit Familie Hartmann beim Bier vor dem Kamin gehockt haben und uns die hindernisvolle Entstehungsgeschichte des Reithofes erzählt wurde, haben wir heute Morgen ein wenig länger geschlafen. Ich erwachte aus einem Traum, der noch vor ein paar Tagen für mich ein Albtraum gewesen wäre. Zu erkennen, mit welcher Distanz ich auf das Traumgeschehen reagierte, zeigt mir, dass ich mit der Pilgerei auf dem richtigen Weg für mich bin. Dafür belohnte ich mich mit einem ganzen Tag voller guter Laune. Auf der Waldwanderung ertappte ich mich dabei, dass ich beim Laufen, wie ein Kleinkind Mozart dirigierte.
Einen richtigen Albtraum hingegen erlebte Ina heute. Während sie das erste wirklich frische Bioei ihres Lebens aß, von mir dabei erwartungsvoll beobachtet, verzog sie das Gesicht, griff in ihren Mund und meinte: „Sind die immer so hart?“ Sind sie nicht. Was sie in der Hand hielt, war ein beachtliches Stück ihres vor ein paar Tagen erst wuzelbehandelten Zahnes. Ca. 3 Stunden später flog auch die Füllung raus. Das bedeutet, spätestens übermorgen in Greifswald sitzt Ina beim Zahnarzt.
Kurz bevor wir unser Ziel, das traumhafte Waldhaus von Familie Kauz erreichten, machten wir Station in der Papiermanufaktur Wrangelsburg. Von handgeschöpften Papieren über Schuhe aus Papier, bis hin zur Nutzung der Druckerpresse kann man in diesem Verein alles machen, was sich mit Papier anrichten lässt. Auch hier ist Familie Kauz sehr aktiv. Das fällt irgendwie auf, es sind die Zugezogenen, die aktiv sind.
Fazit des Tages:
- (Ina) Das Maß an Gastfreundschaft, welches uns auf dieser Reise begegnet, überrascht mich.
- (Sylvia) Durch das tägliche Laufen mit Gepäck, durch dieses langsame Fortbewegen, verändert sich mein Zeitgefühl. Die Tage werden länger und intensiver.
Nachtrag: Frau Kauz arbeitet auch als Künstlerin, ein Traum: in einem zum Atelier umgebauten Bauwagen. (Wunsch ans Universum: Auch haben wollen!)
Kurze Momente zwischendrin
In der Dämmerung am See nahe dem Brennesselhof: Ina: „Da sind Hasen, auch winzige.“
Sylvia: „Wo?“
Ina: „Ach so, sind ja Enten.“
Kommentar vom Brennnesselhofmann, als wir seine Frage nach der Qualität unseres Schlafes im Heu mit kurz, kalt und hart beantworteten: „Also, dass man das Heu auflockern muss, weiß doch jeder, das muss man doch nicht erklären. Darauf ich: „Haben Sie mich mal angesehen? Ich bin blond und aus Stadt …“
Mitten in der Pampa zwischen Gladrow und Lassan taucht aus dem Feld eine alte Dame auf. Ich weiß nicht, ob sie zu mir oder zu sich selber sagte: „Dieses Gelb vom Raps, wohin das Auge sieht, wunderschön. Aber es ist Monokultur. Monokultur! So ungesund für den Boden.“
Während einer Pause im Wald sagt Ina ganz ruhig: „Du musst mir mal helfen.“ Ich dachte, ihr Armband ist aufgegangen, weil sie den Arm so hält. Stattdessen zeigt sie auf eine Zecke in ihrem Arm.
Mittagspause an einem Froschteich. Die Pappel neben unserer Pausenbank ließ es ununterbrochen schneien und die Frösche quakten uns ein Konzert. Ich war begeistert, machte mit meinem Handy Aufnahmen, die ich sofort an mein Kind und Freunde versendete. Ina dagegen war verhalten. Schließlich hat sie schon einmal direkt neben einem Froschteich gewohnt.
Ein alter Mann werkelt am Wegesrand an seiner Gartenlaube. Er sieht Ina, wartet, bis sie an ihm vorbei ist, und fängt an zu Brüllsingen: „Das Wandern ist … “
Vor dem Schloss in Wrangelskow, einer ehemaligen Pilgerunterkunft, machten wir Pause. Sagt Ina: „Guck mal, Pilgerer. Das sind bestimmt die Schweizer, die gestern in Lassan waren.“
Natürlich hatte Ina recht, aber ich fand es sehr deprimierend: Die beiden sind schätzungsweise 70 und laufen im Schnitt 20-25 km pro Tag. Wir trösten uns gegenseitig, dass die beiden ja viel, viel kleinere Rucksäcke haben als wir.
Ina führte uns mittels Abkürzung auf einen ziemlich verwilderten Waldweg, von dem aus sie dann in den Wald abbog und zu mir sagte: „Laufen wir eben mit Kompass“.
Alles ist gut, Ina kann Kompass lesen, wir kommen schnell und sicher am Haus von Familie Kauz an. Fragt Herr Kauz: „Und welchen Weg haben Sie denn genommen? Wir erklären den Weg. Sagt Frau Kauz: „Da hatten Sie aber Glück, dort leben die Kreuzottern!“
Station 6: Wieck
Von Gladrow nach Wieck – Streckenlänge 14 km.
Am Nachmittag Ankunft in Wieck. Inzwischen fühlt sich mein Körper sehr ramponiert. Jeder Muskel, jeder Knochen schmerzt. Trotzdem, Bier und Fisch auf der Wiecker Promenade schmecken und die Erfahrungen, die jede von uns mit sich selbst auf dieser Reise macht, sind gut. Gut fürs Ego und gut für die Selbstliebe. Dafür, dass wir uns jeden Tag aufs Neue dazu überwinden, uns ‚Black Beauty‘ und den ‚Blauen Schatten‘ wieder auf die geschundenen Rücken zu schnallen und stoisch unsere Wege zu gehen, dafür können wir uns nur selbst wertschätzen, müssen den Hut vor uns selber ziehen. Chapeau!
Die Strecke heute war ein wenig öde. Immer den Radweg entlang, direkt neben der Fernverkehrsstraße Anklam – Greifswald. Dafür war ab der Hälfte der Strecke der Blick auf den Greifswalder Bodden frei. Rapsgelb, Baumgrün, Wasserdunkel und das Weiß eines Segels im Sonnenlicht. Das war zu viel für mich. Plötzlich war sie wieder da, die tief grollende, schmerzvolle Sehnsucht und die Tränen rollten von allein.
Die entgegenkommenden Radfahrer schauten mich alle sehr mitleidig an, wahrscheinlich dachten sie, ich heule, weil Ina uneinholbar weit vor mir lief und ich absolut keine Chance hatte, sie einzuholen. Ich machte einen kurzen Halt, packte eine Packung Taschentücher aus, die ich während des Weiterlaufens komplett verbrauchte (wieder 200 g weniger Gepäck!). Ich lief und heulte und lief und lief und so plötzlich, wie sie gekommen war, war die Heulerei auch wieder vorbei.
Zehn Minuten später gab es eine Zigarettenpause und meine Seele strahlte wieder so leuchtend, wie das vor mir liegende Rapsfeld.
Im „Maritimen Jugenddorf Wieck“ angekommen, traf uns der Schock: ein 6-Betten-Zimmer für uns zwei. Preis pro Nase 21 €. Das ist der Preis für Pilgerer. Ohne Pilgerausweis hätte uns so ein Bett 31 € gekostet. Also auch hier wieder „Danke, Ina!“ ohne sie hätten wir die Ausweise nicht.
Im Zimmer haben wir erst mal zügig den Apfelkornflachmann getötet. Während ich auf iTunes nach neuer Wandermusik suchte – ich habe heute schon Herbert Roths „Ich wandere ja so gerne …“ gesungen – verschwand Ina im Bad und schminkte sich. Schließlich wollten wir ja in die „Stadt“ zum Essen. (Stadt = Wieck = kleines Dorf im Randgebiet von Greifswald)
Fazit des Tages:
- (Ina) Mal sehen, wie sich Greifswald uns morgen präsentiert, der Weg hierher und die Ankunft lagen eher auf der unteren Skala der Pilgerzufriedenheit.
- (Sylvia) Beim Laufen kommen und gehen die Gefühle, egal ob traurig oder euphorisch, ich laufe einfach weiter und irgendwann sind sie wieder weg.
P.S.: In meinen Mails hatte ich heute Post von einer Wahrsagerin namens Gabriella. Sie kündigt mir an, dass mich jemand heimlich liebt und ich von dieser Person morgen 19.15 Uhr Post bekommen werde. Also bitte, liebe Fangemeinde: macht, dass mein Handy morgen 19.15 Uhr klingelt, oder wenn es gar nicht anders geht, dann schreibt mir!!! 🙂
Jacobsweg Station 7: Greifswald
Von Wieck nach Greifswald – Streckenlänge 6 km
Frühstück in der Jugendherberge mit lärmenden Kinderchen … Mein Traum!
Vor allem dann, wenn ich weiß, dass wir in voller Montur und mit Gepäck raus in den strömenden Regen müssen. Aber wie jeden Tag haben wir auch diese Strecke geschafft: Schritt für Schritt immer am Wasser entlang. Dabei wurde meine Theorie bestätigt, dass die Kuttersegler von der Küste bei jedem Wetter trainieren. Der Seesportverein Greifswald war jedenfalls auf dem Wasser …
Am Dom Sankt Nikolai haben wir uns den Stempel für unseren Pilgerausweis geholt und kurz entschlossen Karten für „cantataBach! Internationaler Gesangswettbewerb für Kirchenmusik“ gekauft. Vor dem Konzert noch schnell in die Unterkunft in der katholischen Pfarrei. Eine Schwester in Tracht begleitete uns in das Zimmer. Inventar: 2 Sofas (zu klein, um darauf zu schlafen) 1 Fernseher (ohne Programme) 1 DVD-Player, 1 Tüte DVDs, 1 Teppich und in einer Ecke versteckt 2 Isomatten. Das wird bestimmt eine erholsame Nacht.
Dafür war das Konzert sehr beeindruckend. Vier Kantaten nacheinander von neun verschiedenen Sopranistinnen interpretiert. Unsere Favoritinnen: Anna Moritz und Donata Burkhardt. Wer gewonnen hat, erfahren wir dann hoffentlich über Internet.
Jetzt warten wir auf den Beginn des Fußballspieles. Ina hält aus Prinzip auf Dortmund, ich aus Gewohnheit auf Bayern. Deren Mannschaft gewinnt, die muss einen Gute-Nacht-Schnaps ausgeben. (Ob die Grammatik von dem Satz stimmt?)
Fazit des Tages:
- (Ina) Nach einem regnerischen Start zeigte sich Greifswald doch von seiner schönen Seite, mit einem erhebenden Klangerlebnis und einem hoffentlich spannenden Champions-League-Finale in einer coolen Kneipe.
- (Sylvia) Auch ein Tag, der mit mieser Laune und strömenden Regen beginnt, kann sich zu einem guten Tag entwickeln.
P.S.: Die Wahrsagerinnen können auch nichts mehr: keine Mail, kein Anruf, keine SMS, nicht mal eine popelige WhatsApp-Nachricht kam 19.15 Uhr an und die heimliche Liebe ist vermutlich so heimlich, dass sie selbst davon nichts weiß.
Station 8: Gerdeswalde
Von Greifswald nach Gerdeswalde, an der Grenze zu Horst – Streckenlänge 11,5 km
Heute habe ich hoffentlich den Tiefpunkt unserer Reise erreicht. Nach 4 Kaffee und Frühstück im Pfarrhaus St. Joseph mussten wir gegen Mittag los. In der an den vorherigen Tagen als trostvoll empfundenen Landschaft habe ich heute nichts als endlose Pampa gesehen. Lustloses und vor allem hoffnungsloses vor mich hin laufen. Kaffeedurst, aber da gab es nirgendwo Kaffee, nicht mal eine lausige Tanke oder einen Dorfkonsum. Nichts, gar nichts, gab ja nicht mal einen Ort.
Mittagspause in einem Heuhaufen, statt Kaffee in Plastikflaschen abgefülltes Leitungswasser. Kälte und Nieselregen als ständige Begleiter. Einziger Trost: die Bach-Violinkonzerte auf den Ohren. Volle Dröhnung. Ina hörte Hörbuch und war ebenfalls abgetaucht.
Dann endlich war das Tagesziel erreicht und unsere Herbergsfamilie entpuppte sich als entzückendes Paar in den 70ern. Es gab Kaffee und Kuchen, eine Garten- und Hühnerstallbesichtigung, ein herrlich rustikales Abendessen mit selbst gemachtem Fett und es gab einen Albtraum als Übernachtung. Noch vor wenigen Wochen wäre ich an dieser Stelle in Tränen ausgebrochen und hätte spätestens an dieser Stelle den Urlaub beendet.
Aber ich bin robuster geworden. Ich liege auf einer Saunaliege, die Haut krabbelt, der Kopf ist angenehm benebelt von Gebirgskräuter (Ina hatte Pfeffi, aber das nur am Rande vermerkt). Als Einschlaf- und Fluchthilfe aus diesem Raum nutzen wir beide Hörbücher. Was ich mich auf dieser Tour wirklich frage: Was sind Pilgerer für Menschen, dass ihnen solche Unterkünfte angeboten werden? bzw. Was denken die Unterkunftgeber über Pilgerer, dass sie solche Unterkünfte zur Verfügung stellen?
Fazit des Tages:
- (Ina) Heute bin ich froh, eine gemütliche Wohnung in meinem geliebten LE zu wissen.
- (Sylvia) Auch wenn die Herbergsfamilie sehr freundlich und das Essen lecker ist, auch wenn die Gespräche interessant und anregend sind, nichts mildert den Schrecken und Ekel, in einem fensterlosen Raum mit Toilette, Badewanne, Sauna, Dusche und drei Saunaliegen nächtigen zu dürfen.
Station 9: SOS Dorfgemeinschaft Grimmen-Hohenwieden
Von Gerdeswalde nach Grimmen-Hohenwieden – Streckenlänge 16,3 km
Nach fast durchwachter Nacht haben wir heute Morgen dann doch fast unser Frühstück verschlafen. Nach dem Frühstück duschen und danach Abschiedskaffee mit dem Ehepaar Gruel. Unterwegs wieder nichts als Natur. Blauer Himmel und eine wärmende Sonne beflügelten mich. Gefühlt lief ich heute das doppelte Tempo. Das lag aber sicher auch an den Gedanken- und Gefühlstürmen in mir. Heute ging es in mir um die Themen Loslassen (von Sehnsucht, Liebe, Schmerz und Trauer). Es ging um Vertrauen in mich und andere und darum, Verletzungen (sehr alte und neue) als gegeben hinzunehmen, mich nicht mehr dagegen zu sträuben, aufzulehnen. In Gedanken konnte ich die traurigen Anteile, die hilflosen Kinder tröstend im Arm wiegen, ihnen ein Lied summen, sie mir auf den Rücken schnallen und sie mitnehmen, denn mit ihren winzigen Füßen konnten sie bei meinem Tempo nicht mithalten.
Ina derweil, in ihr Hörbuch vertieft, dokumentierte unsere Tour mit Fotos. (Im Übrigen sind fast alle Fotos, die ich hier von unserer Reise poste, von Ina. Nur einmal, als sie die einmalige Chance hatte, ein am Wegesrand ruhendes Reh zu fotografieren, da hat sie entweder geträumt, oder das Hörbuch war zu spannend.
Nach 13 km kamen wir in Grimmen, mit wirklich qualmenden Füßen, an. Dort, welch Wunder: ein Marktplatz mit wirklich lärmendem Glockenspiel und eine Bäckerei mit Freisitz. Es gab eine lange Pause, mit Handy, Eiskaffee und Zigaretten. Dann Endspurt ins SOS-Dorf. Die Bewohner und ihre Betreuerin Christiane empfingen uns freundlich und fragenreich und zeigten uns alle wichtigen Räume: Küche, Bad und unseren gut ausgebauten, sauberen und hellen Bauwagen, mit Heizung, richtigen Betten und Fenstern!
Wir erhielten die Information: 18 Uhr gibt es Abendessen und 8 Uhr Frühstück. Also schnell Wäsche waschen und dann essen. Im Gemeinschaftsraum von Haus Nr.7 erwarten uns Anita, Yvette und Norbert sowie fünf weitere Bewohner und zwei Betreuerinnen. Insgesamt wohnen und arbeiten 32 geistig- und/oder lernbehinderte Menschen im Dorf. Besonders beeindruckt hat mich, dass es neun verschiedene Arbeitsmöglichkeiten gibt, u.a.: Holzwerkstatt, Gärtnerei und Hofladen.
Norbert erzählte mir, dass er in der Gärtnerei arbeitet und im Sommer zweimal mit dem Dorf in den Urlaub fährt: einmal eine Woche nach Schwerin und einmal, mit den Anglern aus dem Dorf, eine Woche nach Norwegen. „Der Chef fährt auch mit, der hat jetzt angeln gelernt!“
Na dann wünsche ich viel Freude und die ganz großen Fische!
Fazit des Tages:
- (Ina) Trotz des schönen Tages habe ich heute riesige Sehnsucht nach meinem Zuhause, nach meinen Freunden und nach Olivia – aber morgen ist ein neuer Tag.
- (Sylvia) Heute habe ich zum ersten Mal den Wanderflow erlebt: Meine Füße liefen von allein und in mir war lange Zeit Leere, immer mal wieder unterbrochen von Gedanken oder Glücksmomenten. Ein Hase, der übers Feld stürmt, die erste Kornblume und ein Eiskaffee.
Station 10: Tribsees
Von Grimmen-Hohenwieden nach Tribsees – Streckenlänge 20 km
Das heute war ein Marathon, die letzten Kilometer sind wir eher gekrochen als gelaufen. Füße, Hüften und Rücken kreischten und knirschten, alles schrie „Aua!“.
Heute Morgen, beim Kaffee sagte Ina, dass es ihr in Meck-Pomm zu einsam ist. Ihr fehlt das „kleine Leben. Die Dörfer haben keinen lebendigen Mittelpunkt, es sind kaum Menschen da. Man kann sich nicht einfach mal hinsetzen und beobachten. Die Lebendigkeit fehlt. Die Landschaft ist schön, aber irgendwie fehlt die Abwechslung. Du blickst auf und siehst Rapsfelder. Du blickst wieder auf und siehst Rapsfelder. Mit viel Glück siehst du ab und mal einen Hasen oder ein Reh.“ Ina erfreut sich durchaus auch an kleinen Dingen, aber „durch das Gepäck und die Schwere ist das begrenzt.“
Unterwegs sammelte Ina Hühnergötter vom Waldweg auf, offensichtlich ist ihr Rucksack noch nicht schwer genug. In einem Waldstück hatte sie plötzlich die Idee, im Kopf „Die Wand“ nachzuspielen. Kleine Änderung des Drehbuchs, nicht eine Frau, sondern zwei Frauen leben hinter der Wand. Ich durfte mir aussuchen, ob ich lieber für das Vieh oder für die Landwirtschaft zuständig sein will. Ich entschied mich für das Vieh und Ina hatte die Aufgabe, Tabak und Kaffee anzubauen und Schnaps zu brennen. Ihre Idee für Kaffee war, Eicheln sammeln und rösten. Also unter diesen Bedingungen möchte ich nienienie hinter der Wand leben! Außerdem gibt es da keine Internetverbindung.
Nach 8,5 km haben wir heute in Kirch-Baggendorf km 107 erreicht. Die Hälfte der Tour geschafft. Darauf haben wir jede erst mal einen Minischluck Appelkorn getrunken.
Ich habe heute wieder einmal festgestellt, wie wetterabhängig ich bin. Trübes Wetter = trübe Laune. Völlig unterzuckert – 8 Uhr Frühstück, da ist jeder Bissen eine Qual – wurde ich heute geplagt von Einsamkeitsgefühlen und Kindheitserinnerungen, z.B. an eine Bergwanderung im Rilagebirge. Immer höher ging es, obwohl wir nur mal ein Stück laufen wollten. Die Nässetropfen auf meinem Pullover waren gefroren, meine kurzen Beine und die Hobbitfüße taten weh (ich war ca. 7), aber ich wurde gnadenlos angetrieben, bis ich endlich, völlig verfroren und verheult, auf dem 3000er im Nebel stand. Zum Glück ist Ina bei mir. Allein mit ihrer Anwesenheit holt sie mich immer wieder aus meinen Erinnerungen zurück.
Fazit des Tages:
- (Ina) Es ist erstaunlich, dass ich immer wieder Kräfte zum Weiterlaufen mobilisieren kann, obwohl ich mitunter das Gefühl habe gleich zusammenzubrechen. Respekt! – vor den PilgerInnen, die täglich 20-25 km hinter sich bringen.
- (Sylvia) Ohne die Gute-Laune-Musik von „El Bosso und die Pingpongs“ und ohne den Kaffee und die Erdbeertorte 3 km vor Erreichen unseres Tageszieles, hätte ich mich heute an den Wegesrand gesetzt, auf den Bus nach Hause gewartet, oder besser, auf den Bus nach Kühlungsborn.
Station 11: Bad Sülze
Von Tribsees nach Bad Sülze – Streckenlänge 9 km
Heute Morgen sind wir nicht so richtig in die Gänge gekommen, was aber nicht verwunderlich war, da wir nach dem Laufmarathon gestern, nicht zur Ruhe kamen. Bei Pizza und Bier hockten wir noch lange zusammen und philosophierten.
Ina fragte „Wofür soll das denn nur gut sein, dass wir denken und uns erinnern können? Das muss doch einen Sinn haben. Für die Selbsterhaltung brauchen wir das nicht! Schweine, Affen und Elefanten pflanzen sich auch fort, nur wir, wir denken permanent nach. “
Da wir uns auf den Sinn nicht einigen konnten und auch sonst mit der Diskussion nicht weiter kamen, wechselten wir das Thema. Von der Frage: „Wo will ich mal bestattet werden?“ – Ina in Leipzig im Clarapark, Sylvia in der Ostsee – kamen wir auf die Frage: „Wieso ist unser Zeitempfinden so konträr gegenüber der real verlaufenden Zeit?“ Wir wissen, wie alt wir sind und erschrecken doch mitunter vor dem eigenen Spiegelbild, welches dem gefühlten Alter nicht entspricht.
Weil solche Gespräche sowohl schön als auch anstrengend sind, verkrochen wir uns dann noch auf die Couch und ließen uns ein wenig leer machen vom sinnentleerten TV-Programm. Es war gegen drei, als wir endlich ins Bett fielen.
Heute Morgen duschen, frühstücken und los ging es. Wir kamen ca. 300 m von der Unterkunft bis zum nächsten Lidl. „Die kurze Husche“ abwarten, meinte Ina. Die „Husche“ entpuppte sich als zweistündiger Wasserfall. Aber bei Lidl gibt es ja immer einen Bäcker und bei dem gibt es Kaffee und Tee. Als der Regen sich verzogen hatte, ging es für uns auf die Piste, sprich Wanderweg durch nasses, kniehohes Gras. Die Sonne, plötzlich war sie da, und noch besser, sie blieb.
Unterwegs begegneten uns ein Wildschwein, unzählige Pferde, ein Pfauenpaar auf einem Müllberg, Damwild, eine Gans und ein Bussard. Ina allerdings begegnete heute noch vieles mehr. Ständig blieb sie stehen, um hier ein Gräslein, dort ein Käferchen und da die abgeworfene Haut einer Blindschleiche zu bewundern, zu beobachten und zu fotografieren :-).
In Bad Sülze fanden wir schnell das Café Wunder Bar. Nach der überwiegenden Trostlosigkeit der bisherigen Unterkünfte ein Traum: eine helle, schicke Ferienwohnung für 30 € und gleich darunter das Kulturcafé. Ina ging einkaufen, sie kochte heute für mich. „DDR-Nudeln“ sehr lecker, wenn auch ein wenig sauer. (Verzeih mir Ina!)
Ich setzte mich zum Schreiben ins Café. Mit Caipi in der Sonne und von Katzen umworben, eroberte ich mir mit Schreibheft und Stift meine Ruhe zurück und ein paar Glücksmomente waren auch dabei.
Fazit des Tages:
- (Ina) Heute fühlte ich mich zum ersten Mal richtig frei, habe meinen Rucksack nicht gespürt, war der Natur nah, habe die Langsamkeit genossen und war sehr verliebt in die Details, die sich mir am Wegesrand zeigten.
(Sylvia) Mit bleiernen Füßen, von innerer Unruhe getrieben, begann mein Wandertag im strömenden Regen. Dann kam die Sonne raus, die Kilometer wurden weniger, das Wildschwein hat mich nicht gefressen und der Abend, stündlich von den Glocken der Kirche nebenan beläutet, ist einfach nur ein Traum.
Station 12: Schloss Kölzow
Von Bad Sülze nach Kölzow – Streckenlänge 9 km
Der Pilgerweg, den wir heute begingen, trägt den erwartungsfrohen Namen „Tour der Steine“. Wir haben vieles gesehen, sogar einen auf Waldwegen motorcrossenden, etwas verpickelten Jüngling. Der hat vermutlich nicht oft Publikum, denn gleich mehrfach, nachdem er an uns vorbei war, ließ er seine Maschine aufjaulen. Aber was soll er auch sonst machen, wenn er schon mal an zwei Tanten vorbei düst, wo doch sonst immer nur Kühe und Pferde ihn bewundern.
Was wir unterwegs nicht gesehen haben, jedenfalls nicht mehr als sonst, waren Steine.
Es ist so deprimierend. 20 km von der Ostsee (Ribnitz-Damgarten) entfernt wirken die Ortschaften leblos und arm. Die wenigen Kneipen, die es gibt, sind so gähnend leer und verlassen wie die gar nicht so seltenen Spielplätze.
Menschen begegnen uns nur selten, Menschen in unserem Alter und jünger fast gar nicht. Was es dafür umso häufiger gibt – obwohl uns auch von denen noch keiner leibhaftig erschienen ist – sind Finanz- und Versicherungsberater. Wen sie hier beraten, ist mir schleierhaft, vielleicht all die armen Ostrentner mit ihrem Grundbesitz.
Eigentlich wollten wir heute in unserer Unterkunft Schloss Kölzow als Königin Inasa und König Sylvio „einreiten“. Der Schlosspark ist eine schöne Anlage mit vielen Sitzgelegenheiten und Ententeich. Auf den Wiesen grasen Schafe und zwei Ziegen. Die Rezeption ist besetzt und für 50 € dürfen wir im Dienstbotenzimmer schlafen. Nichts König und Königin.
Heute habe ich ganz stark das „ich-will-hier-weg-Bedürfnis“. Obwohl wir in richtigen Betten schlafen und uns sogar eine Badewanne zur Verfügung steht. Aber will ich die wirklich benutzen? Mit abgenutztem Plastikduschvorhang? Irgendwie weiß ich jetzt, warum in ländlichen Regionen der Alkoholkonsum so viel höher ist, als der in der Stadt. Ich erlebe es am eigenen Körper, der allabendlich sagt „wenn ich hier nicht weg darf, dann WILL ich jetzt sofort Alkohol“. Wehrlos gegen seine Argumente, bekommt mein Körper, wonach er so lautstark verlangt.
Fazit des Tages:
- (Ina) Ich habe mich heute wieder sehr entspannt und frei gefühlt. Das wurde allerdings dadurch getrübt, dass ich den langsam schleichenden Verfall sehe. Es ist egal, ob ich in einer Kneipe ein opulentes Mahl zu mir nehme, das rettet die Wirtsleute nicht. Ich kann den Verfall nur wahrnehmen und es tut mir unendlich leid um die Region und die Menschen, aber ich stehe dem auch nur ohnmächtig gegenüber.
(Sylvia) Gäbe es nicht die schöne Landschaft, mit ihren Weihern, den unendlichen Feldern, den Blumen und Bäumen und deren warmen Gerüchen, gäbe es nicht all die Pferde, Schafe, Kühe, die Vögel, Käfer und anderes Flatter- und Kriechgetier (außer Zecken und Mücken, die sollten verboten werden), ich wünschte, wir wären längst in Kühlungsborn, auch wenn dies bedeutete, dass mein Urlaub bald vorbei wäre.
Nachtrag: Auf dem Rückweg von der Kneipe zum Schloss haben wir sechs Jugendliche getroffen, aber vielleicht waren es auch nur drei und wir haben schon doppelt gesehen 🙂 .
Jacobsweg Station 13: Sanitz
Von Schloss Kölzow nach Sanitz – Streckenlänge 16 km
Nach dem Frühstück wollten wir die Übernachtung bezahlen und uns die Pilgerhefte abstempeln lassen. Sagt die Schlossherrin: „Ach, Sie wollen zahlen, oder lieber nichts zahlen und Stempel, Datum und Unterschrift wollen Sie auch noch gratis dazu!“
Prinzipiell hätte das ja ein Scherz sein können, aber die Frau meinte das sehr ernst. Und, das war nicht die einzige Spitze, die sie in Bezug auf unsere – zugegebenermaßen eingeschränkten – Finanzen losgelassen hat. Schade eigentlich, denn das Schloss ist schön gelegen, der Park ist eine kleine Idylle, der Schlosshund ist ein verfressener alter Trottel und die Zimmer, in die wir heimlich hineingesehen haben, sind auch ganz nett. Nach der Nummer von der Schlossherrin würde ich allerdings sagen: nur hinfahren, wer entweder ein dickes Fell in den Ohren oder ein dickes Konto hat.
Aber egal, entspannt, wie wir von der ganzen Lauferei sind, haben wir freundlich einen guten Tag gewünscht, unsere Rucksäcke aufgesetzt und losmarschiert. Sonnig war es heute und windig. Wir haben festgestellt, dass Pappeln im Wind wie die aufgewühlte See klingen, während der Wind die Tannen eher wie eine ruhige Brandung rauschen lässt.
Rapsfelder waren heute nur wenige zu sehen, dafür unendlich viele und große Roggenfelder. Der Wind strich in sanften Wellen über das Getreide. Unter seiner Berührung sah das ganz sanft und weich aus. Streicht man aber mit der Hand darüber, fühlt es sich einfach nur stachelig und kratzig an. Also erzeugen Wind und Feld eine optische Täuschung.
Ina hatte heute wieder ihren Makrofototag. An alles musste sie mit ihren Augen und mit der Kamera ganz nah ran. Ergebnis, die großen Dinge, wie eben ein Loch am Feldrand, werden übersehen. Plötzlich lag sie wie ein Käfer auf dem Rücken und strampelte mit den Beinen :-).
Unterwegs begegnet sind uns Strauße, Grünfinken, Mehlschwalben und Ina war ganz fasziniert von zwei Raupen: einer nackten und einer mit Fell.
Na ja, beim miteinander Wandern entwickelt jede so ihre Eigenheiten. Meine sind nicht ganz so blumig duftende Bleifüße und ein sehr nach innen gerichteter Blick. Auch in Bezug darauf sind wir sehr unterschiedlich: zu Beginn der Wanderung lag meine Aufmerksamkeit mehr im Außen, während Ina mehr mit sich beschäftigt war. Jetzt ist es umgekehrt. Gleich ist bei uns beiden aber dies: Wir sind in uns ruhiger und ausgeglichener geworden.
Heute übernachten wir im Gruppenraum der evangelischen Gemeinde. Aber alles ist schick, das Gebäude ist neu, Dusche und Toilette sauber, der Pfarrer freundlich. Als er vorhin den Raum für die heutige Männergruppe vorbereitete, trällerte er ein Lied. Die Gruppe tagt übrigens immer noch, aber jetzt wird nicht gesungen, dafür meldet sich unser Wegbegleiter, der Kuckuck, wieder.
Fazit des Tages:
- (Ina) Natur, Ruhe und Einsamkeit sind sehr schön, trotzdem freue ich mich wahnsinnig auf morgen – das lebendige Großstadtgewimmel von Rostock.
- (Sylvia) Den ganzen Tag mit heftigem Seitenwind und in der Sonne unterwegs, das macht mir gute Laune und einen leichten Sonnenkasper.
Kurze Momente zwischendrin
Es raschelte am Wegesrand, es piepste aufgeregt und dann entdeckten wir ihn, einen Grünfink, der sich bei seinen ersten Flugversuchen im Gras verheddert hatte. Ina schaffte es, ihn zu fotografieren, bevor er weiterzog.
Wir laufen durch Ortschaften, in denen die Hecken wie mit einem Lineal gerade rasiert sind, die Gartenbepflanzung an Friedhöfe erinnert und in denen die Menschen uns hinter ihren Gardinen beobachten. Wenn wir sie grüßen, ziehen sie schnell die Köpfe ein.
Beim Durchwandern dieser Ortschaften denke ich dadurch viel über meine Ursprungsfamilie nach. Ich sehe das freche Grinsen meines mittleren Bruders vor mir, wie er da sitzt, in seinem schmalen Gesicht mit den abstehenden Ohren. Oder ich denke an meine Omas, die eine unterkühlt und manipulierend, die andere, etwas wärmer, aber mit sich selbst beschäftigt und dem Alkohol verfallen. Ich sehe sie deutlich vor mir, wie ich ihr einmal im Dorf begegnete: mit ihrem runden, etwas eingefallenem Gesicht, ihrem grauen Haarschopf und in einer blaurot getupften Dederonschürze führte sie ihren Hund an der Leine. Sie sprach etwas undeutlich, also fragte ich, ob sie ihr Gebiss vergessen hätte. Sie lachte, griff in die Schürzentasche und baute das Gebiss in ihren Mund.
Ich glaube, die Mücken im Wald hatten heute Feiertag und ich war ihr Festmahl.
Station 14: Rostock
Von Sanitz nach Rostock – Streckenlänge 23 km, davon zu Fuß 16 km und 7 km mit dem Bus
Heute waren wir wieder einmal ziemlich kraftlos, so wie jedes Mal, wenn wir wenig und schlecht geschlafen haben. Auf dünnen Matratzen zu schlafen, kaum spürbar, dass eine Matratze zwischen Fußboden und Körper lag, ist hart. Noch härter und schlafraubender war allerdings die nicht ausstellbare Notausgangsbeleuchtung, und davon hatten wir zwei im Zimmer.
Eigentlich wollten wir heute stumpfsinnig vor uns hin schlurfen. Ging aber nicht, der Pilgerweg war ein Hindernisparcours. Riesige Schlaglöcher und Pfützen zwangen uns zum Ausweichen, Füße heben, Umwege nehmen.
So langsam tritt das ein, was wir uns für diese Tour gewünscht haben: Der Kopf ist leer. Um uns, um, was auch immer, Gedanken zu machen, dazu waren wir viel zu erschöpft. Alle Energie aus dem Kopf floss in Rücken, Beine und Füße. Wir sind uns noch nicht ganz sicher, ob wir diese Art des Funktionierens wirklich mögen. Aber egal, weiter geht es!
So kurz vor Rostock wird die Landschaft öde. Nur Stoppelfelder und Windräder. Irgendwie der Tiefpunkt unserer Wanderschaft. Die Ortschaften werden austauschbar: lauter neu gebaute Eigenheime, die nur noch so tun, als wären sie Klinkerbauten. Alles Imitate.
Die Sonne meinte es heute auch besonders gut mit uns. Sie brannte einfach nur von oben nach unten. Warum nur tun wir uns das an? Diese Frage konnte heute keine von uns beantworten. Klar ist: ohne Musik „The Frames“ (Ina) und „Rastaknast“ (Sylvia) hätten wir uns in die Wüste gesetzt und wären verdurstet. Aber Rastaknast machte mir Hoffnung auf heute Abend „Einmal noch hoch das Glas, auf das was kommt, auf das was war …“.
Jedenfalls haben wir uns bis zur Bushaltestelle in Pastow an der Feuerwehr geschleppt und sind die restlichen 7 km mit dem Bus gefahren. Dort kreiste ein Storch über uns – was für eine Freude für die trüben Augen.
Im Bus Schlafstimmung, aber kaum waren wir ausgestiegen, war Ina hellwach. Menschen!
Am Rosengarten, welch Wunder, saßen junge Menschen in Grüppchen, was für ein Motiv für unsere Bilddokumentarin.
Ina, heiß auf Szenekneipen, Sylvia gerade in der falschen Stadt, aber Aperol Spritz hat uns wieder versöhnt. Wir gehen ins Hotel, Fernsehen glotzen.
Fazit des Tages:
- (Ina) Mein Akku war leer, ich kam mir vor wie ein Kriegsheimkehrer, in sengender Sonne schlurfend und fast am Boden kriechend, rettete mich nur meine Lieblingsmusik.
- (Sylvia) Was soll ich sagen, andere Mütter haben auch schöne Söhne und morgen ist ein neuer Tag.
Station 15: Bad Doberan
Von Rostock nach Bad Doberan – Streckenlänge 22,5 km, davon 14,5 mit der Regionalbahn und 8 km gelaufen
Das war eine gute Nacht im Pentahotel. Mitternacht gab es an der Bar noch einen Latte macchiato und dann endlich einmal entspannter Schlaf in großen und bequemen Betten! Aufstehen gegen 10 Uhr, auschecken gegen 11 Uhr und dann Frühstück in der Bäckerei Junge. Während wir uns Kaffee und Brötchen schmecken ließen, plätscherte nebenan der Brunnen der Lebensfreude. Die schönen Brunnenmenschen taten mir schon ein wenig leid, wie unberührt sie dem Sturm in ihrer Nacktheit trotzten, bei gefühlten 5 Grad.
Eigentlich war der Plan heute 8 km mit dem Bus zu fahren und dann nach Bad Doberan zu laufen. Aber Rostock ist nicht Leipzig und der Rostocker Nahverkehr mag ja in der Woche gut funktionieren, am Wochenende aber fahren die Busse nicht. Jedenfalls die nicht, die wir herausgesucht hatten. Nach einer Stunde frieren an einer zugigen Haltestelle kam ein alter Mann auf seinem Fahrrad daher und meinte vorbeiradelnd: „Der 27er fährt heut nicht.“ Das Internet sagte zwar etwas anderes, aber wir glaubten dem Mann, denn er sah so aus, als würde er sich auskennen. Also etwas demoralisiert zum Bahnhof laufen, Zug heraussuchen, losfahren. Deprimierend für uns: für 14 km brauchte der Zug nicht einmal 15 Minuten.
Mir war so kalt, dass ich ganz heiß aufs Laufen war. Ina hingegen hatte heute keine richtige Lust, insofern war die kurze Strecke gut.
Im Bad Doberaner Münster holten wir uns den letzten Stempel für unsere Pilgerhefte. Der Münster ist gut erhalten und gehörte zu einem Zisterzienserkloster aus dem 13. Jh. – ein ziemlich beeindruckender Bau mit einer schönen Orgel. Ich würde gern mal ein Konzert dort hören, bestimmt ist die Akustik großartig.
Unsere Pilgertour nähert sich dem Ende und in mir macht sich so etwas wie Abschiedsmelancholie breit. Obwohl ich erschöpft bin und mich auf drei Strandtage in Kühlungsborn freue, habe ich das Gefühl von noch-weiter-wollen, vielleicht auch müssen. So ganz bin ich noch nicht „ausgelaufen“. Liegt wohl auch daran, dass ich es auf dieser Reise sehr schätzen gelernt habe, dass die körperliche Anstrengung ein gutes Pendant zu meinem immer laufenden Kopfkino ist. Die Bewegung mit der Last auf dem Rücken knipst den Film zwar nicht aus, aber der Film läuft in slow motion. Das macht ihn weniger anstrengend und ich kann mir auch mal die Details ansehen. Das fährt meinen Adrenalinspiegel angenehm runter. Na ja, morgen kann ich mich ja noch einmal austoben.
Auf Ina hat das Laufen wohl eine ähnliche Wirkung, zumindest was die Sache mit den Details betrifft. Jedenfalls stellt sie immer mal wieder merkwürdige Fragen. So auch vorhin beim Kaffee auf dem Balkon unseres Pensionszimmers: „Gibt es eigentlich auch Hummelhonig?“ Die kleine dicke Hummel, die uns gerade um schwirrte, mochte uns die Antwort nicht geben. Aber es gibt ja Internet und auf Yahoo wurde ich fündig: Es gibt ihn, aber nicht so häufig, weil Hummelvölker viel kleiner sind als Bienenvölker. Hummelhonig ist sehr viel dünnflüssiger, weil Hummeln nicht wie Bienen die Arbeit teilen. Mal sehen, ob wir in Kühlungsborn in einem Bioladen, welchen bekommen.
Fazit des Tages:
- (Ina) Ich freue mich auf morgen, nicht weil es der letzte Weg ist, sondern weil wir noch einen Tag zum Laufen haben und hier die Landschaft wieder schön ist. Morgen laufen wir am Meer.
- (Sylvia) Jetzt, wo sich die Reise dem Ende nähert, möchte ich immer so weiter laufen, nicht aufhören müssen. Aber so ist es wohl mit mir, wenn mir etwas guttut, dann möchte ich mehr davon: Schokolade, Bücher, Meer und Strand, Sonne, Liebe, Alkohol, Musik, Wege unter den Füßen, Landschaft vor den Augen, Menschen, die ich mag um mich, Gespräche und natürlich ganz viel freie Zeit.
Station 16: Kühlungsborn West – Finale
Von Bad Doberan nach Kühlungsborn West – Streckenlänge 15 km
Heute Morgen saßen wir sowohl wehmütig als auch voller Vorfreude beim Kaffee auf dem Balkon der Pension. Wehmütig, weil wir zum letzten Mal unsere Rücksäcke packen durften. Irgendwie haben wir uns an das spartanische Leben mit 2 Hosen, 2 Jacken und 2 T-Shirts und Zahnbürste gewöhnt. Wehmütig aber auch, weil das Erreichen des Zieles, das Ende der Wanderung bedeutet.
Gleichzeitig waren wir voller Vorfreude. Endlich das Meer sehen, endlich zivile Kleidung tragen und einfach nur faul sein, am Strand liegen, lesen.
Die erste Stunde ging es durch den Wald, immer an den Schienen der Mollibahn entlang. Ina nutzte die Tour heute noch einmal ausgiebig zum Fotografieren. Sogar ein Fuchs lief ihr vor die Kamera.
Ich hingegen musste mich noch einmal austoben und lief im Eiltempo durch den Wald. Dabei kam mir immer nur das Offensichtliche in den Blick. Ich habe noch nie so viele unterschiedlich gemusterte Nacktschnecken gesehen wie in dem Waldstück zwischen Bad Doberan und Heiligendamm. In Heiligendamm gab es Kaffee und die ersten Mollifotos. Und dann war es so weit. Durch wunderbar alte Buchenwälder laufend, begrüßten wir das Meer, aber das Meer interessierte sich nicht für uns. Es war einfach nur da und wir freuten uns darüber.
An der Grenze zwischen Heiligendamm und Kühlungsborn lockte uns ein Imbisswagen an. Sekt für 2 €, da konnten wir nicht anders. Wir mussten erst einmal auf uns anstoßen.
Getrübt wurde die Freude allerdings durch die Hochwassermeldungen unserer Freunde aus Leipzig. In Gedanken waren wir bei allen, die gerade zu retten versuchten, was irgendwie zu retten ist. Egal, ob Knauthain, Grimma, Döbeln, Dessau oder eine der anderen vom Hochwasser betroffenen Regionen, die Nachrichten, die wir erhielten (und erhalten) machten uns betroffen und scheinen angesichts der Wetterlage hier unwirklich. Wir hoffen mit Euch, dass die Maßnahmen, die ihr getroffen habt, ausreichen.
In unserer Unterkunft in KBW angekommen, haben wir uns erst einmal umgezogen und ein Nudelfest veranstaltet. Die kommenden 3 Tage werden wir es ruhig angehen, obwohl, auf die 20 km (Hin- und Rückweg) nach Rerik, hätte ich schon Lust :-).
Fazit des Tages:
- (Ina) Es war eine wunderschöne letzte Etappe. Der Duft von Heiderosen, Jasmin und Meer umschmeichelte uns und der erste Blick auf das Meer war umwerfend. Ich war traurig, dass die Wanderschaft vorbeigeht und weil ich mit meinen Gedanken in Sachsen war.
- (Sylvia) Die Unruhe hatte mich heute wieder fest umklammert, aber ich bin so schnell wie möglich gegen sie angelaufen. Jetzt, in der Leuchtturmstraße, im Sessel lümmelnd, fühle ich mich ganz ruhig, so als hätte mich jemand ausgeknipst.
Resümee: Pilgern auf der Via Baltica
Nach drei Tagen Erholung sitzen wir in Kühlungsborn im Sonnenschein auf der Terrasse und sprechen darüber, wie wir die Pilgerreise im Nachgang bewerten. Über eines sind wir uns einig: erlebt haben wir beide so etwas noch nicht und es gab sowohl großartige als auch schreckliche Momente. Großartig waren die erlebte Verlangsamung der Zeit, das in der Natur sein, manche Begegnungen mit Tier und Mensch, das Konzert in Greifswald, das Miteinander und vieles mehr. Schrecklich waren das Gepäck auf dem Rücken, der 20 km Marsch, die Wanderungen im Regen und einige der Unterkünfte.
Trotzdem, im Nachgang überwiegt bei uns beiden die Freude: Wir haben es geschafft und haben viel erlebt und erfahren.
Wir sind ca. 214 km gelaufen, das heißt, wir haben fast eine halbe Million Schritte gemacht. Wir sind durch 2 Städte, 5 Kleinstädte und 41 Dörfer gelaufen. Was wir nicht gezählt haben: an wie vielen Rapsfeldern wir vorbeigekommen sind. Es waren viele und im Verlauf der Wanderung konnten wir zusehen, wie der Raps verblüht.
In Bezug auf die vor der Wanderung gesteckten Ziele können wir, im Rückblick betrachtet, sagen:
- (Ina) Ich bin auf der Reise ruhiger und ausgeglichener geworden. Es tat mir gut. Ich habe das Wandern, obwohl ich es nicht mag, sehr genossen. Es gab durchaus Momente, in denen ich aufhören wollte, z.B. während der 20 km Tour. Aber ich habe auch gemerkt, wie sich eigene Grenzen verschieben lassen und ich immer noch Kräfte aktivieren konnte, von denen ich vorher nicht wusste, dass es sie gibt. Manchmal hat eine Pause oder ein Stück Erdbeertorte Wunder bewirkt.
- (Sylvia) Mein Ziel, dem Schmerz und der Traurigkeit davonzulaufen, sie loszuwerden, habe ich nicht erreicht. Es war eher so, dass ich mitten in sie hineingelaufen bin. Trotzdem ist da viel passiert. Es sortiert sich etwas in mir, z.B. hat sich die Frage geklärt, was ist Trennungsschmerz und was gehört zu einem ganz alten Schmerz. Worin unterscheiden die sich. Ganz nebenbei habe ich gelernt, dass es nicht schlimm ist traurig zu sein. Dass dies ein Teil ist, der zu mir gehört, ebenso wie Lebensfreude und Neugier und vieles andere. Heißt, ich muss mich weder darüber definieren, noch mich deswegen verdammen. Gefühle kommen und gehen, ich bleibe. Dies zu spüren, hat auch mich ruhiger und gelassener werden lassen. Mir selbst gegenüber, gegenüber dem was ist, aber auch gegenüber dem, was ich mir für die Zukunft vorstelle.
Sollten wir wieder einmal miteinander pilgern, dann wissen wir, dass die Tagesstrecke nicht länger als 16 km sein sollte. Das ist aushaltbare Anstrengung. Alles andere ist Quälerei für ungeübte Pilgerer und faule Stadtmenschen. Wir können uns vorstellen, noch einmal miteinander zu pilgern. Dann allerdings in anderer Landschaft und ohne Zeitdruck. Auf dieser Reise mussten wir ja immer die jeweilige Unterkunft erreichen, es gibt in der Region einfach zu wenige Pilgerherbergen.
Momentan denken wir gerade über den St. Olovs Weg in Norwegen nach. Allerdings dürfte es dort noch einsamer sein und wir müssten sicher ein Zelt mitnehmen. Aber die Landschaften dort …
Wir danken allen, die uns hier und in anderen Medien auf unserer Reise begleitet und uns mental unterstützt haben.
Also eure Abteilung gibt mir wirklich ??? auf. Arbeitet ihr da auch, oder singt Ihr nur? Zumindest weiß ich jetzt, wo Ina gelernt hat so schräg zu singen 🙂
Also dann nehme ich den Feldschatz 🙂
Ganz schön mutig Ina ! ILona
Waldschrat und Waldschatz … glaub ich 😉
Wir wünschen Euch viel Spaß und „die Gedanken sind frei….“.
Die ?-Abteilung