Sprung-1
Mein Fuß auf der Trittstufe des Flugzeuges, die Tür geöffnet. Der Motorenlärm schneidet in den Ohren, die kalte Luft ihre Minusgrade in mein Gesicht. „Auf jeden Fall den Mund zulassen, durch die Nase atmen“ brüllt mir Tandempartner ins Ohr. „Ist zu kalt, Lunge platzt!“
Die Landschaft sieht fremd aus, von so weit oben. Obwohl ich weiß, dass ich jetzt in Luftlinie 5000 Meter über dem Meeresspiegel, bin fühle ich mich im Flugzeuglärm in Sicherheit. Ich spüre etwas unter meinen Füßen, Boden. Hingegen scheint die Welt dort unten so  schwankend und wogend wie ein fremdes Meer. Ich soll springen in dieses Meer, springen auf die Welt. Der Mann an meinem Rücken, an dessen Bauch ich mich fühle wie ein in den Eukalyptusbaum gekralltes Koalakind, fragt nicht noch einmal. Sagt nichts, springt.
Ohne Vorwarnung falle ich. Spüre den kalten Wind im Mund, presse die Lippen aufeinander. Nicht durch den Mund atmen. Fallen, fallen, der Erde, dem Boden entgegendrehen. Da ist keine Angst mehr, kein Staunen, nichts. Nur ich und der Wind, der in meine Ohren drückt. Die Kälte, die an meinen Füßen zwickt. Der Boden der mir entgegenrast.
Ich bin. Keine Frage mehr. Sein. Rausch. Fall.
Plötzlich ein Ruck. Das Rasen ausgebremst, der Fallschirm offen.
Die Lunge brennt mir, ich nehme einen tiefen Atemzug, merke, dass ich während des Falls die Luft angehalten habe. Jubel steigt auf in mir und ich breite die Arme zum Flug. Lache fliegend, im Chor mit dem Mann auf meinem Rücken. Einem Boden entgegen, dessen Perspektive sich ändert, wenn ich meine verändere.

Als meine Füße stolpernd den Boden berühren, fühle ich mich zum ersten Mal wirklich willkommen.

© Sylvia Tornau, 2007

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