Krisen: 10 Gründe, warum ich sie liebe

Das sagte meine Vorgesetzte vor Jahren in einem Personalgespräch zu mir. Bis dahin war es mir gar nicht so bewusst, aber seitdem ich mich selbst in Krisensituationen beobachte, weiß ich: Sie hatte recht.

Viele Menschen fürchten persönliche Krisen. In unserem Kulturkreis haben wir häufig nicht gelernt, damit umzugehen, dass die Dinge manchmal nicht so laufen, wie sie sollen oder wie wir es wollen.  Mit Krisen verbinden wir oftmals negative Gefühle und die Angst vor dem Unbekannten. In diesem Blogbeitrag teile ich meine persönliche Sichtweise auf das Thema Krisen und erkläre, warum ich sie liebe und schätze. Im Lauf meines von Krisen durchwirbelten Lebens, habe ich zu der festen Überzeugung gefunden: Krisen sind nichts Schlechtes, sondern Chancen, aus denen wir gestärkt hervorgehen können – wenn wir sie richtig nutzen.

Zu Beginn einer Krise fühlst du dich meist erst einmal verwirrt. Die Gedanken kreisen, die Emotionen fahren Achterbahn in dir. Du wehrst dich, willst nicht wahrhaben. Doch in dem Moment, in dem du die Situation anerkennst, gibt es einen Augenblick der Stille in dir. Genau in diesem Moment entscheidest, wie du ab sofort mit der Situation umgehen willst. Entweder verharrst du weiter im Ungewissen und hoffst auf eine Lösung im Außen, oder du akzeptierst die Situation. Nimmst sie an, ohne Wertung. Das ist der Moment, ab dem Neues entstehen kann. Überdies gehst du, wenn du dich entscheidest, dich der ungeschminkten Wahrheit über deine Situation zu stellen, einen großen Schritt in Richtung emotionale Selbstregulation.

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Der Ehrlichkeit wegen muss ich hier kurz erwähnen, dass der Moment der Liebe zur Krise auch bei mir erst auftritt, wenn ich die Krise als Krise erkannt und angenommen habe. Davor bin auch ich gebeutelt von der Achterbahnfahrt der Emotionen und Gedankenkreisen. Im Folgenden findest du meine 10 Gründe, warum ich Krisen liebe. 

1. Krisen zeigen meine Stärken

In Krisen offenbaren sich meine wahren Stärken. Ganz einfach, weil Krisen mich dazu zwingen, mich in schwierigen Situationen zu beweisen. Erst durch Krisensituationen habe ich in mir Facetten entdeckt, von denen ich nicht wusste, dass sie in mir existieren. Heute weiß ich, ich bin in der Lage schnelle Entscheidungen zu treffen, ich kann für einen Moment meine Emotionen oder Gedanken ausblenden, wenn ich sie als hinderlich erkenne. In Krisen agiere ich fokussiert und kreativ und bin viel schneller bereit Wege zu betreten, durch Seitenstraßen zu laufen, die ich sonst nicht einmal wahrgenommen habe.

2. Krisen sind der Ausweg aus Problemen

Probleme kennen wir alle. Je nachdem, wie wir veranlagt sind, was wir über den Umgang mit Problemen gelernt haben, wie wir mit ihnen umgehen, wie wir sie bewerten, können sie Wegweiser sein oder Hindernisse.

Ich persönlich neige meist dazu, sie erst einmal als Hindernis zu sehen. Wenn sich die Hindernisse dann türmen, z.B. in meiner Beziehung – wir beide sind im Arbeitsleben eingespannt und vergessen dann auch mal, dass die Beziehung etwas Wesentliches braucht, nämlich gemeinsame Zeit, Kommunikation, verbindende Momente etc. Kommt dann hinzu, dass sich auf der Arbeit die Anforderungen türmen, was ebenfalls Zeit braucht und ich meine Freundinnen lange nicht gesehen habe, mir die Zeit für mich fehlt (weil ich sie mir nicht nehme), dann entsteht in mir mitunter das Gefühl, der Einsamkeit, der Wurzellosigkeit. Hier ist für mich dann eine Schnittstelle, wo aus Problemen schnell Krisen werden. 

Ist die Krise da, zwingt sie mich, bestehende Probleme anzugehen, statt sie weiterhin zu ignorieren. Ohne die Krise hätte ich mitunter nicht den Mut und auch nicht das Bewusstsein, dass es an mir ist, Veränderungen herbeizuführen und diese Probleme zu lösen. Eins nach dem Anderen. 

Wenn die Probleme überhandnehmen und kaum ein Ausweg sichtbar ist, dann wird es Zeit für eine Entscheidung. Dies fühlt sich oft an, wie der Sprung ins Ungewisse.

3. Krisen sind wichtig für die Weiterentwicklung

Unser Gehirn ist faul. Es liebt Routinen und mag Neues so gar nicht gern. Für unser Gehirn ist eine Krise so etwas wie eine Provokation und Provokationen mag es nicht. Die will es weg haben, damit es sich weiter in seinen gewohnten Bahnen bewegen kann. Genau das ist der Grund dafür, dass Krisen für uns eine Chance sind, die gewohnten Bahnen – Denk- und Fühl-Gewohnheiten zu verlassen und neue Bahnen zu bauen (die dann zu den neuen gewohnten Bahnen werden). Deswegen lernen und wachsen wir durch Erfahrungen, Herausforderungen und durch Krisen. Eine Krise ist also, ob wir es wollen oder nicht, der Motor für persönliche Weiterentwicklung und Selbstreflexion.

Oder anders gesagt: Die Krise bringt mich vom gewohnten Weg ab, was mich zwingt, neue, unbekannte Wege zu gehen. (Klar, ich kann mich auch dafür entscheiden, auf der Stelle zu treten und darauf zu warten, dass der alte Weg sich wieder zeigt. Dann verharre ich in der Krise, bis ich sie nicht mehr aushalte.) Das Ziel ist klar: Die Wege sollen wieder gewohnt werden, weil ich mich im Gewohnten, Bekannten, Vertrauten sicherer fühle. Die Weiterentwicklung bedeutet also nichts anderes, als dass mir nach der Krise mehr Wege zur Verfügung stehen, die mir vertraut sind. Ich kann künftig zwischen mehr Wegen auswählen, die ich gehen kann, weil die alten Wege ja immer noch da sind, aber daneben gibt es eben auch die neuen Wege.

4. Krisen sind Wendepunkte im Leben

Um eine Krise beenden zu können, braucht es Veränderung. Viele Menschen haben erst einmal Angst vor Veränderungen, weil sie nicht wissen, was das Ergebnis der Veränderung ist. Es ist wie mit unserem Gehirn, am liebsten bewegen wir uns in unserer sogenannten Komfortzone. Das heißt, wir bewegen uns am liebsten in dem, was uns vertraut ist, wo wir uns sicher fühlen und uns nicht sonderlich dafür anstrengen müssen, die gewünschten Resultate zu erzielen. Mitunter entstehen Krisen genau an der Schnittstelle, an der wir uns nach etwas Neuem sehnen (zum Beispiel, weil es in der Komfortzone langweilig geworden ist). Unsere Bedürfnisse ändern sich, auch wenn uns das nicht immer bewusst oder willkommen ist. 

In dem Moment, in dem ich akzeptiere, dass ich mich in einer Krise befinde, in dem Augenblick erkenne ich, dass es Zeit für Veränderungen ist. Denn in der Krise verharren will ich nicht. Auch wenn diese Veränderungen manchmal einen Verlust beinhalten, z.B. den Verlust meines Jobs, bedeuten Veränderungen nicht zwangsläufig den Verlust von etwas. Sie bedeuten meist auch den Beginn von etwas Neuem und Besserem oder eine Erweiterung des Bisherigen. Ich habe dann zwar den alten Job verloren, finde aber vielleicht erst dadurch den anderen Job, in dem ich mich noch viel wohler fühle und meine Fähigkeiten noch viel besser einbringen kann. Oder ich finde endlich den Mut zu tun, was ich schon längst tun wollte: Ich mache mich selbstständig.

5. Krisen helfen mir, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren

Wenn ich eine Krise bewältigen muss, erkenne ich, was mir wirklich wichtig ist im Leben oder in einem Projekt. Manchmal fühle ich mich einsam, weil ich mir für die mir wichtigen Dinge keine Zeit genommen habe: meine Familie, meine Freund:innen, für mich selbst. Stattdessen bin ich vielleicht der Möhre des Materialismus gefolgt, oder der Anerkennung durch andere. Habe die Arbeit und das Geldverdienen an die erste Stelle gesetzt und dem alles andere untergeordnet. Die Krise zeigt mir sehr deutlich, wo ich meinen inneren Bedürfnissen nicht gefolgt bin, sondern mich an anderem orientiert habe, von dem ich glaubte, es sei für mich wichtig: Job, Geld, Anerkennung, Zugehörigkeit um den Preis der Selbstverleugnung. Wenn ich das erkenne, kann ich meine Prioritäten neu ordnen und mich auf das konzentrieren, was für mich wirklich zählt.

In der Krise, wenn ich bereit bin, mich den Themen zu stellen und zu erkennen, welchen Anteil ich selbst an dieser Krise habe, liegt die große Chance, mich neu zu sortieren und die Bereitschaft, Themen zu bearbeiten, die ich schon lange vor mir hergeschoben habe.

6. Krisen zeigen mir, wer meine wahren Freund:innen sind

In schweren Zeiten zeigt sich, auf wen ich mich wirklich verlassen kann. In diesen Zeiten fehlt mir die Kraft, meine Energie nach außen zu geben, ich kann dann nicht für andere da sein. Beabsichtigt jemand an der starken Sylvia anzudocken, die sich gerade gar nicht stark fühlt und versteht mein NEIN nicht? Dieses Nein begründe ich damit, dass ich aktuell einer Krise bewältige. Deshalb bin ich jetzt selbst auf Unterstützung angewiesen. Nimmt die Person das als Abweisung, dann weiß ich, dass ich auf sie nicht zählen kann. Wer hingegen an dieser Stelle die eigenen Bedürfnisse für den Moment hintenan stellt und mir im Rahmen seiner/ihrer Möglichkeiten Unterstützung anbietet, auf den/die kann ich mich verlassen. Das stärkt bestehende Freundschaften und hilft, neue Beziehungen aufzubauen.

7. Krisen lehren Empathie und Mitgefühl

Durch die Bewältigung eigener Krisen, durch die Erinnerung daran, wie es mir in einer ähnlichen Situation erging, kann ich mich besser in andere Menschen hineinversetzen und ihnen in ihren schwierigen Situationen beistehen – sowohl emotional als auch praktisch. Ich kann nachvollziehen, dass die Bearbeitung solcher Herausforderungen eine Konzentration auf sich selbst braucht, ich weiß, welches Auf und Ab der Emotionen im Spiel ist und ich habe eine Idee davon, was ich in einer vergleichbaren Situation gebraucht habe und kann dies anbieten. Ich weiß aber ebenso, dass es in dieser Situation vollkommen legitim ist, ein Unterstützungsangebot abzulehnen. Das heißt, ich fühle mich bei einer Ablehnung nicht zurückgewiesen, weil ich weiß, dass die andere Person in der Krise eine große Klarheit darüber in sich trägt, was gerade gut für sie ist.

8. Krisen sind eine Gelegenheit, den eigenen Lebensstil zu überdenken

Mir haben gerade Krisen dabei geholfen, meine aktuellen Lebensumstände zu hinterfragen. Ich spürte lange Zeit ein Ungleichgewicht, aber ich nahm es nicht ernst. Das Ungleichgewicht bestand darin, dass ich alles dafür tat, dass es meinem Kopf gut ging. Ich lernte viel, weil ich ein Mensch bin, dem Lernen Freude bereitet. Dafür, dass immer neues Futter in Form von Büchern, Weiterbildungen, anregenden Gesprächen zu ganz verschiedenen Themen vorhanden war, sorgte ich gut. Ich bin eine sogenannte Scanner-Persönlichkeit – vielseitig interessiert und begabt (und bringe nicht alles zu Ende, was ich anfange).

Über all der Fütterung von Kopf und Psyche vergaß ich lange Zeit etwas Wesentliches: meinen Körper. Essen, Schlafen, Bewegung – all das war für mich nebensächlich. In der Krise wurde es plötzlich wichtig. Ich erkannte, dass es mir nicht gut ging, wenn ich etwa hungrig war, dass mein Körper nach einer schlaflosen Nacht – weil ich mich wieder einmal in den Dingen verloren hatte, die mein Kopf so spannend findet – mit Nesselsucht reagiert. In dieser Zeit erkannte ich auch, dass sich nach langen Spaziergängen und Wanderungen eine wohlige Zufriedenheit in mir ausbreitet, die so etwas wie depressive Verstimmungen gar nicht erst aufkommen lässt. All dies habe ich seitdem – bis auf kleine Phasen, in denen ich mir das alte Muster erlaube (ich liebe es einfach Nächte durchzumachen) – in mein Leben integriert.

9. Krisen ermöglichen neue Perspektiven

Als Systemikerin liebe ich den Perspektivwechsel. Einen Sachverhalt aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten, Stimmungen, Äußerungen eine andere Bedeutung zu geben. So gelang es mir beispielsweise mittels Perspektivwechsel nach meiner letzten Trennung einen Ausweg aus dem Gedankenkarussell zu finden. Aus „Er hat mich verraten“ wurde „Er hat andere Prioritäten, er wird bestimmt ein guter Vater“. Für mich war die Familienplanung abgeschlossen, für ihn nicht. Indem ich dies akzeptierte, konnte ich seine Entscheidung als eine Entscheidung für sich selbst sehen und musste sie so nicht mehr als Entscheidung gegen mich annehmen. Dabei war es sehr hilfreich, für einen Moment seine Position einzunehmen. Mich befreite diese Sichtweise von den Gedanken „Ich bin nicht gut genug! Ich bin nicht liebenswert!“. Der Perspektivwechsel befreite mich von diesen destruktiven Gedanken in mir.

Krisen bringen uns dazu, uns mit unseren Ängsten, Sorgen und Problemen auseinandersetzen und dadurch eröffnen sich häufig neue Blickwinkel und Herangehensweisen, die uns persönlich und beruflich weiterbringen können.

Wir mögen sie meist nicht so besonders, die eigenen Schattenseiten, das verborgen wirkende in uns. Doch häufig bringen wir genau in diesen Situationen die Kraft auf, genau hinzuschauen, uns selbst ohne Weichzeichner und sonstige Verzerrer zu betrachten.

10. Krisen machen dankbar für das, was ich habe

Nachdem ich eine Krise bewältigt haben, gelingt es mir das Leben und seine schönen Seiten wieder mehr schätzen. Meine Wahrnehmung ist geschärfter, meine Sinne sind offener. Das Gute in meinem Leben, was ich vor der Krise als selbstverständlich hingenommen habe, rückt wieder mehr in meinen Fokus.  Hinzu kommt, dass ich während der Krise sehr deutlich erkannt habe, was ich alles schon habe, erreicht habe, was mich an Nährendem umgibt– seien es Beziehungen, Natur oder einfach die Möglichkeit einmal essen zu gehen, mir ein Buch kaufen zu können, eine Weiterbildung zu machen. Im Grunde zeigen mir die schweren Zeiten, wie gut es mir eigentlich geht. Und dafür bin ich sehr dankbar.

Ich hoffe, dieser Beitrag zeigt auch dir, dass in einer Krise viel mehr als nur Leid und Verzweiflung steckt. Sie kann tatsächlich der Schlüssel zu Veränderung, Wachstum und einem erfüllten Leben sein. Deshalb möchte ich dich ermutigen, Krisen als Chancen zu erkennen, diese Herausforderungen anzunehmen und sie dafür zu nutzen, deine Persönlichkeit zu entwickeln und ein glücklicheres, erfüllteres Leben zu führen.

Was ich mir während der Krise meist nicht vorstellen kann und erst merke, wenn die Krise bewältigt ist: Ich bin ein Stück über mich hinausgewachsen, habe Neues gelernt und sehe mein Leben und mich wieder klarer.

War dieser Artikel für dich hilfreich? Befindest du dich gerade in einer Krise, bei deren Bewältigung du dir Unterstützung wünschst? Vereinbare gern einen Termin für ein kostenfreies Kennenlerngespräch mit mir.

In Verbundenheit

2 Kommentare

  1. Sylvia Tornau 1. Juli 2023 um 13:52 Uhr

    Liebe Katja, da gebe ich Dir total recht, wenn es gelingt, nach der Krise zu erkennen, was die Krise an positiver Veränderung gebracht hat, dann verlieren Krisen ihren Schrecken. Ab dem Punkt können wir in der nächsten Krise dann schon eher mit der Haltung von Neugier agieren.

  2. Katja Steinweh 1. Juli 2023 um 13:06 Uhr

    Liebe Sylvia,
    ich mag Deinen Artikel sehr und finde mich in vielen Punkten wieder. Für mich ist jede Krise eine Chance auf Veränderung und rückblickend hatte jede meiner durchlebten Krisen etwas Gutes. Die Kunst ist, das zu erkennen, daraus zu lernen und sich weiter zu entwickeln.
    Herzliche Grüße
    Katja

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, innerem Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
Für ein erfülltes Leben in Verbundenheit.

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