Überwindung von Einsamkeit: Bindungssicherheit als Schlüssel zur Heilung früher Verletzungen
Einsamkeit überwinden zu können, wünschen sich viele Menschen. Der Grund: Einsamkeit ist in der westlichen Gesellschaft ein weitverbreitetes Phänomen. In England gibt es sogar ein Ministerium für Einsamkeit. Es sind nicht nur sehr alte Menschen betroffen, deren soziales Umfeld verschwunden ist, sondern auch immer mehr junge Menschen geben an, einsam zu sein. Einsamkeit ist nicht nur subjektiv eine schreckliche Empfindung, sondern hat auch objektive Auswirkungen auf die Gesundheit.
Einsamkeit wird unterschiedlich wahrgenommen. Einsame Menschen sprechen oft von einem Gefühl der Leere, der Isolation und des Getrenntseins. Meine Beschreibung dafür war lange Zeit „Ich bin ein Alien!“ Damit meine ich das Gefühl der Heimatlosigkeit und Unverbundenheit. Einsamkeit ist nicht unbedingt gleichbedeutend mit Alleinsein, da jemand physisch unter Menschen sein kann und sich dennoch einsam fühlt. Eine Freundin von mir prägte für diesen Zustand einmal das Wort „ALLEINSAMKEIT„. Gemeint ist damit: egal, wohin ich komme, wie viele Menschen dort sind, ich bin überall allein und einsam. Natürlich kann jemand, der allein ist, sich vollkommen zufrieden und nicht einsam fühlen.
Claudia Kielmann lud ein zur Blogparade: Einsam muss nicht sein: Deine Tipps gegen Einsamkeit. Auch dieses Thema geistert schon lange in mir herum, und ich musste vor dem Schreiben mehrfach tief in meinem Denkarium abtauchen, um mir die Zusammenhänge von Trauma und Einsamkeit wieder ins Gedächtnis zu rufen. In diesem Artikel beschreibe ich, wie Trauma und Einsamkeit zusammenhängen und welche Wege aus der Einsamkeit heraus führen.
Einsamkeit und Trauma
Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Einsamkeit und Trauma. Vor allem Bindungstrauma und Schocktrauma können dazu führen, dass wir uns selbst in Gesellschaft anderer Menschen einsam fühlen. In diesen Fällen scheinen Trauma und Einsamkeit eine Art Koalition zu bilden. Sie laufen Hand in Hand durch unser Leben. So als wäre die Einsamkeit das Anhängsel des Traumas. So wird Einsamkeit schnell zu einem Lebensaspekt, also zu etwas, das zu uns zu gehören scheint. Wir kennen uns nicht anders als einsam, da wir nie den Wert von Unterstützung und Halt im Miteinander kennengelernt haben. Deshalb sind wir uns oft auch gar nicht dessen bewusst, dass eines unserer Lebensthemen die Einsamkeit ist.
*Ich fühlte mich wie ein Alien, heimatlos und wurzellos und hatte ständig das Gefühl, meine wahre Identität, mein Aliensein, vor anderen verbergen zu müssen. Ich sah aus wie ein Mensch, sprach dieselben Worte und hatte dennoch das Gefühl eine ganz andere Sprache zu sprechen. Ich fühlte mich abgeschnitten und war traurig, weil ich der einzige Alien weit und breit zu sein schien. Reichte mir jemand die Hand, nahm ich sie. Spürte die Haut fest, weich oder rau, spürte Wärme oder Kälte, aber es war nie mehr als das: jemand reichte mir die Hand und ich tat es ihm/ihr nach, weil es zu den Sitten und Gebräuchen dieser Welt zu gehören schien. Es löste nichts anderes aus in mir. Ich spürte keine Verbindung zu der anderen Person.
Einsamkeit ist ein verborgener Schmerz, da es in unserer Gesellschaft ein Stigma rund um das Eingeständnis von Einsamkeit gibt. Dies führt dazu, dass Menschen ihre wahren Gefühle verbergen, aus Angst, als schwach oder gescheitert wahrgenommen zu werden. Das führt dazu, dass Betroffene ihren Schmerz verbergen, um nicht missverstanden oder abgewertet zu werden. Einsamkeit hat so viele Gesichter, die von außen nicht immer erkannt werden. Ein Aspekt, der uns einsam macht, ist, wenn wir uns nicht trauen, unsere wahre Natur sowie unseren inneren Schmerz zu zeigen. Der andere Aspekt ist, dass Einsamkeit auch dadurch entsteht, weil wir uns nie wirklich verstanden gefühlt haben. Es war nie jemand da, der/die sich bemühte uns so anzunehmen, wie wir sind oder bei uns zu sein und uns Zeit gab, um überhaupt in unserer eigenen Haut anzukommen.
Das Echo der Kindheit: Die Wurzeln unserer Einsamkeit
Es gab ein zentrales Thema in der Kindheit von traumatisierten Menschen – physische, psychische oder sexuelle Gewalt, Vernachlässigung – dem die Menschen ausgesetzt waren. Das allein ist grausam und tragisch, doch hätten die Traumafolgestörungen durchaus weniger heftig ausfallen können. Wenn jemand dagewesen wäre, um zu trösten, liebevoll aufzufangen, mit Verständnis einen Raum geschaffen hätte, in dem all die Emotionen von Verwirrung, Schmerz, Wut hätten da sein dürfen. Jemand, der/die sich um das verletzte Kind gekümmert hätte. Gesagt und gezeigt hätte: „Das sollte nicht passiert sein“, „Du bist nicht schuld“, „Ich beschütze dich“, „du kannst den Schmerz spüren“ und „du bist damit allein“. Dann hätten viele traumatische Folgen viel geringere Ausmaße sowie möglicherweise gar keine Konsequenzen.
*Trost fand ich in der Kindheit nicht bei Menschen, sondern in den fünf Kastanienbäumen im Park. So oft es ging nutzte ich als Kind die Chance sie zu besuchen. Unter ihrem Schutz spielte ich, träumte ich, mir würden Wurzeln wachsen und ich dürfte bei ihnen bleiben. Wäre ich eine von ihnen, würden sie mich beschützen. Ich wusste, ich bin kein Baum und das machte mich trauriger, als die Gewissheit, in einer Familie zu leben, mit der mich nichts verband, außer dem Zwang, mit ihnen leben zu müssen. Wenn ich bewusst so etwas wie Einsamkeit, Getrenntheit wahrnahm, dann war es bei den Bäumen, nicht bei den Menschen.
Die Einsamkeit wird durch das Gefühl verstärkt, dass niemand einen wirklich versteht oder etwas so schrecklich ist, dass es eine Kluft zwischen mir und anderen bildet. Dies trifft sicherlich auf viele Menschen zu und hat auch mit einem Muster zu tun, einem Vorurteil, das wir in unser Leben integrieren, weil wir früher wenig Mitgefühl erfahren haben und kaum Schutz erhalten haben. Daher denken wir heute oft, dass uns niemand wirklich verstehen kann. Hinzu kommt, dass wir so verunsichert sind in der eigenen Wahrnehmung, dass wir uns fragen, ob die Zuschreibungen „du bist so empfindlich“ vielleicht stimmen und das alles vielleicht gar nicht so schlimm war, wie ich es empfinde. Oder ich bin mir ganz sicher, dass es so grausam und schrecklich war. Dann steigt vielleicht die Frage auf: kann ich mich anderen zumuten? Halten die mich überhaupt aus?
Unsicherheit in Beziehungen: Ein Zeichen früher Verletzungen
Frühe Verletzungen und traumatische Erfahrungen während der Entwicklung führen oft dazu, dass wir uns in Beziehungen zu anderen Menschen unsicher fühlen. Schnell empfinden wir Ablehnung oder das Gefühl nicht wahrgenommen zu werden. Selbst wenn die andere Person dies nicht beabsichtigt oder im Gegenteil sogar auf ihre Art alles dafür tut, um mit uns in Verbindung zu sein. Wir erkennen die Zeichen nicht, weil wir nicht gelernt haben, sie zu erkennen. Oder wir erkennen, dass diese Einsamkeit nicht einfach verschwindet, nur weil jemand da ist. Das verunsichert. Dadurch entstehen in uns häufig die Fragen: „Liebst du mich noch?“ oder „Bleibst du bei mir?“ oder „Meinst du es ernst mit mir?“ Wer früh wenig sichere Bindung erfahren hat, hat die Fähigkeit nicht gelernt, eine Bindung auch dann spürbar zu halten und innerlich präsent zu sein, wenn die andere Person physisch abwesend ist.
Das lernen Kleinstkinder von ihren Eltern, in dem diese kurz den Raum verlassen und gleich wieder da sind. Dies wird gesteigert, z.B. verlässt die Mutter den Raum und redet laut, damit das Kind sie hört. Fängt das Kind an zu weinen, ist die Mutter sofort wieder bei ihrem Kind. Dies wird so lange geübt, bis das Kind dann in der Lage ist, ohne Angst zu sein, auch wenn die Bezugsperson den Raum verlässt. Das Kind ist sich sicher, die Bezugsperson kommt wieder. In der Psychologie heißt dies Objektkonstanz. Bei vielen Menschen ist diese Objektkonstanz jedoch nur schwach ausgeprägt oder gar nicht vorhanden. Erwachsene, die an einem Bindungstrauma leiden, fällt es häufig ausgesprochen schwer, Vertrauen in andere Personen zu gewinnen. Häufig fühlen sie sich verloren, allein und depressiv.
*Lange Zeit meiner Kindheit und Jugend hatte ich keine Freund:innen. Verbrachte meine Zeit allein mit mir oder mit den Bäumen. Das änderte sich in der Pubertät. Alle verliebten sich und ich stand daneben. Ließ mich auf Beziehungen ein, die keine waren. Weil ich nicht wusste, wie ich mich verhalten sollte. Wie zeigt man einem Menschen, dass man ihn liebt? Ich wusste es nicht. Woran merke ich, dass ich geliebt werde? Das wusste ich genausowenig. Trotzdem, je länger eine Beziehung ging, desto größer wurde in mir die Angst, verlassen zu werden, wieder allein zu sein. Immer dann, wenn ich die Angst nicht mehr aushielt ging ich. Einfach um wieder allein zu sein. Da wusste ich wenigstens, woran ich war.
Einsamkeit überwinden – über diese Wege klappt es
Trauma-gekoppelte Einsamkeit überwinden – Bindungssicherheit lernen
Der frühe Verlust oder Mangel von sicherer Bindung, der Verrat unserer Liebe durch Gewalt, Demütigung oder Übergriffen führt zu diesem tiefen Gefühl von Verloren-Sein, von Verstoßen-Sein und innerer Einsamkeit. Doch die gute Nachricht ist: Es ist möglich, auch im erwachsenen Alter Bindungssicherheit nachzulernen! Das Nachlernen von Bindungssicherheit ist ein wichtiger Schritt in der persönlichen Entwicklung, besonders für Menschen, die in ihrer Kindheit unsichere oder problematische Bindungserfahrungen gemacht haben. Hier sind einige Schritte, die dir helfen können, mehr Bindungssicherheit zu erlangen. Einige davon erfordern Mut, aber aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Es lohnt sich!
Selbstreflexion und Bewusstsein
- Erkenne deine Bindungsmuster: Verstehe, wie deine früheren Erfahrungen deine heutigen Beziehungen beeinflussen. Dies kann durch Selbstbeobachtung, Tagebuchschreiben oder Therapie erfolgen.
- Akzeptiere deine Vergangenheit: Akzeptiere, dass deine frühen Erfahrungen dich geprägt haben, aber nicht dein ganzes Leben bestimmen müssen.
Positive Beziehungserfahrungen
- Sichere Beziehungen aufbauen: Suche nach Beziehungen, die Sicherheit und Vertrauen bieten. Das können Freundschaften, romantische Beziehungen oder therapeutische Beziehungen sein.
- Kommunikationsfähigkeiten entwickeln: Lerne, deine Bedürfnisse und Grenzen klar zu kommunizieren.
Innere Arbeit
- Selbstmitgefühl und Selbstfürsorge: Entwickle ein gesundes Maß an Selbstmitgefühl und praktiziere Selbstfürsorge. Dies hilft dir, unabhängig von anderen ein Gefühl der Sicherheit zu entwickeln.
- Emotionale Regulation: Lerne, deine Emotionen zu regulieren und Strategien zu entwickeln, um in schwierigen Momenten ruhig zu bleiben.
Neue Erfahrungen und Experimente
- Neue Verhaltensweisen ausprobieren: Experimentiere mit neuen Verhaltensweisen in Beziehungen und beobachte, wie du und andere darauf reagieren.
- Reflektiere und passe an: Nutze deine Erfahrungen, um dein Verhalten und deine Erwartungen in Beziehungen anzupassen.
Professionelle Unterstützung
- Professionelle Hilfe: Ein Therapeut/Coach, besonders einer mit Erfahrung in Bindungstheorie und Traumabehandlung, kann dir helfen, deine Bindungsmuster zu verstehen und zu verändern.
- Gruppentherapie: Gruppentherapie kann ebenfalls hilfreich sein, um Bindungssicherheit zu erlernen, da sie Interaktionen mit anderen und das Erleben unterschiedlicher Perspektiven ermöglicht.
Kontinuierliches Lernen und Wachstum
- Lebenslanges Lernen: Sieh Bindungssicherheit als einen kontinuierlichen Prozess. Es gibt immer etwas Neues zu lernen und Wege, um zu wachsen.
- Selbstakzeptanz und Geduld: Sei geduldig mit dir selbst. Veränderungen in tief verwurzelten Mustern brauchen Zeit.
Unterstützende Gemeinschaften
- Suche Unterstützung: Engagiere dich in Gemeinschaften oder Gruppen (Selbsthilfegruppen), die unterstützend und verständnisvoll sind.
- Teile deine Erfahrungen: Teilen kann heilsam sein und dir helfen, dich mit anderen zu verbinden, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.
Bindungssicherheit nachzulernen ist ein tiefgreifender Prozess, der Zeit, Geduld und manchmal professionelle Hilfe erfordert. Es ist wichtig, dich selbst auf deiner Einsamkeit-überwinden-Reise zu unterstützen und freundlich zu dir zu sein. Probiere aus, was für dich passt, such dir Unterstützung und vor allem gib dir Zeit. Einsamkeit überwinden und endlich dazugehören, zu Menschen, die liebevoll mit sich selbst und dir umgehen – aus eigener Erfahrung kann ich dir sagen: Es ist eine Reise, die sich lohnt.
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Herzliche Grüße
Liebe Gabi, was für ein schönes Bild „… bleibt ein Rest von Isoliertheit und der Sehnsucht nach meinem Ursprungsbaum.“ Das erhellt doch glatt mit einem leuchtenden Freude-Funken den Rest von Isoliertheit. LG Sylvia
Liebe Sylvia,
in deiner Statistik 2023 hast du diesen Artikel verlinkt, gut so! So habe ich ihn gefunden und lesen können.
Ich fühle mich zwar nicht wie ein Alien, aber ein Paradiesvogel unter lauter Raben ist auch gewissermaßen heimatlos.
Auch wenn ich mir mein Nest sicher und warm gebaut habe, bleibt ein Rest von Isoliertheit und der Sehnsucht nach meinem Ursprungsbaum.
Aber ich bin lebenslang lernend eingestellt, von daher wird wir das gelingen.
Danke für deinen sehr treffenden und detailliert übersichtlichen Blogartikel!
Gruß Gabi
Liebe Rautigunde, da bleibt mir nichts übrig, als dich einfach mal zu umarmen. Danke!
Ich danke dir, liebe Claudia, für den Anstoß zu diesem Blogbeitrag.
Liebe Sylvia, ein gehaltvoller, wahrhaftiger und sehr berührender Beitrag, den ich am liebsten mit etlichen meiner KlientInnen teilen möchte. Einfach um das Selbstverständnis vom möglichen Wachsen hinein in die Verbundenheit zu bahnen.
Danke!
Liebe Sylivia,
ich danke dir für diesen wunderbaren Blogartikel. Diese Verbindung von Einsamkeit und Bindungssicherheit finde ich nicht nur sehr interessant, sondern auch treffend. Für deine Gedanken und Hinweise danke ich dir sehr!
Alles Gute
Claudia