Diesen Vortrag zum Thema „Das innere Kind“ hielt ich im Jahr 2004 im Rahmen einer Weiterbildung. Ziele des Vortrags waren: einen kurzen Einblick geben in das Thema „Das innere Kind“, die Vielfalt der Literatur zum Thema und die Möglichkeiten, sich dem Thema inneres Kind anzunähern.

Auch wenn wir von den Fehlern wissen, wiederholen wir die Fehler, solange wir nicht daran glauben, selbst irgendetwas Wirksames dagegen unternehmen zu können und stattdessen auf Erlösung / bessere Umstände von außen warten
Parabel (entnommen: Bradshaw, J.; 2000; S. 19/20)

Wie habe ich mich dem Thema genähert

Therapie und Gespräche

Ursprünglich ging ich jedes Mal in Abwehr, wenn Freundinnen von ihren inneren Kindern erzählten. Ich wollte nichts davon hören und wurde in einer Therapie dann doch damit konfrontiert. Zum ersten Mal zeigte sich mein inneres Kind, oder besser gesagt, zeigten sich meine inneren Kinder als ein trauriges Selbst, das sich sehr alt und gleichzeitig ganz jung anfühlte. So richtig den Zugang zum Thema gefunden habe ich über das Buch „Ich liebe mich – ich hasse mich“ von George R. Bach und Laura Torbet und über die Gespräche mit dem Leipziger Schauspieler Thomas Dehler während der Theaterproben zu dem Stück „Gier“ von Sarah Kane.

Im Rahmen der Beschäftigung mit dem Thema, habe ich herausgefunden, dass es mir schwerfällt, mich auf die Bezeichnung „inneres Kind“ einzulassen, weil das Kind, welches ich war, mir rückblickend als schwach, dumm, hilflos, abhängig erscheint, alles Zustände / Gefühle, die ich, weil sie in meiner Kindheit so übermächtig waren, für mich abgelehnt habe. Inzwischen weiß ich, wenn der Begriff „Inneres Kind“ zu befremdlich erscheint, ich muss mich nicht daran stoßen, es ist nur ein symbolhafter Name. Es geht um das freie Fließen der seelischen Energie zwischen allen psychischen Instanzen, um Kontakt zu allen seinen inneren Teilen. (Bartning, P.; Arbeitspapier)

Weil ich in der Kindheit eben doch ein sehr braves Kind war, habe ich all die Negativ-Zuschreibungen verinnerlicht. Deshalb fällt es mir wesentlich leichter, mich mit dem „bösen-Ich“, dem „inneren Richter“, also mit meinen inneren Blockaden, auseinanderzusetzen. Diesen kann ich mich eher öffnen, da sie nicht mit den für mich schlimmsten Gefühlen der Ohnmacht und Schwäche behaftet sind.

Literatur

Ich beschäftigte mich neben den Arbeiten von Margret Arminger, Dan Casriel, Erika Chopich und Margaret Paul, ausführlich mit den Theorien von Eric Berne, dem Schöpfer der Transaktionsanalyse. Die Theorien der T.A. betonen den >Zustand des kindlichen Ichs<, der sich auf das spontane, natürliche Kind bezieht, das wir alle einmal waren. Die Transaktionsanalyse beschreibt außerdem die Art und Weise, wie sich das natürliche Kind an den Druck und den Stress der ersten Jahre in der Familie angepasst hat. Das natürliche oder göttliche Kind kommt zum Vorschein, wenn du einen alten Freund triffst, wenn du von Herzen lachst, wenn du kreativ und spontan bist, oder wenn du staunend vor etwas Wunderbarem stehst. Das angepasste oder verletzte Kind zeigt sich, wenn du dich entweder weigerst, eine rote Ampel zu beachten, obwohl diese offensichtlich kaputt ist, oder eine rote Ampel überfährst, weil niemand dich sehen kann und du glaubst, dass du damit durchkommst. Nach John Bradshaw, zählen folgende Verhaltensweisen zum verletzten Kind: Wutanfälle, übertriebene Höflichkeit und übermäßiger Gehorsam, die Verwendung von Kindersprache, das Manipulieren und Schmollen.

Durch Internetrecherche, Literatursuche und das Aha-Erlebnis, dass egal, wie ich es benenne, all den Artikeln und Büchern ein gemeinsames Thema zugrunde liegt.

Was ist das verbindende, zugrundeliegende Thema?

Wir alle kennen das Gefühl, welches Goethe seinen Faust benennen lässt: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust„. (Goethe, J.W.) Die Psyche besteht aus verschiedenen Teilen. Viele Menschen kennen dies anhand verschiedener Stimmen in sich, wenn sie sich mit einem Thema, einem Menschen auseinandersetzen.

„Mein Verstand sagt mir … aber mein Gefühl sagt etwas anderes.“
(Bartning, P.; Arbeitspapier)

Das verbindende Element bei den verschiedenen Konzepten zum „Inneren Kind“ sind die Blockierungen / Konditionierungen / Mangelerscheinungen / Verletzungen in der Seele, die alle in irgendeiner Weise mit negativen Erlebnissen in der Kindheit zu tun haben. Die daraus entstandenen Verhaltensmuster, die einmal unserem Schutz und Überleben dienten, verhindern, dass wir uns heute ganz, anwesend, angenommen und geliebt fühlen. Sie verhindern auch, dass wir unsere Bedürfnisse wahrnehmen, und dafür sorgen, dass sie erfüllt werden.

Die aus diesen Mustern entstehenden Probleme:

  • Einsamkeit / Isolation
  • innere Leere
  • Beziehungsstörungen bis hin zu Beziehungsunfähigkeit
  • mangelndes Selbstwertgefühl
  • aus den Problemen resultierende psychosomatische Störungen
  • das Gefühl nichts Rechtes zustande zu bringen

Individuelle Problemlösungsversuche – Beispiele

  • Vermeidung von negativen Gefühlen, z.B. durch Abschneiden, Wegdrängen der Gefühle und damit der Verlust von Selbstbezug: ich kann nicht fühlen, was du mir antust und dafür nehme ich in Kauf, mich nicht mehr fühlen zu können, also nicht mehr spüren zu können, wer ich bin, was ich will, was ich empfinde. Dies war in der Kindheit sicherlich hilfreich, da kleine Menschenwesen vom Gefühl der Zugehörigkeit abhängig sind, doch heute sind dies automatisierte Muster.
  • Betäubung negativer Gefühle durch Süchte (Alkohol, Essen, Drogen, Zigaretten, Macht, Sex, Medien, Arbeit etc.)

Was kann dir die Beschäftigung mit dem inneren Kind bringen?

Wir können andere nicht mehr lieben als uns selbst, und wir können die Liebe anderer nicht annehmen, wenn wir uns selbst nicht lieben können.
(Chopich, E.; Paul, M.; 2004; S. 10)

Im Wesentlichen geht es darum:

  • Sich der Verletzung und den schmerzhaften Gefühlen zu stellen: Das heißt, sich selbst gegenüber die „Elternrolle“ zu übernehmen und zu akzeptieren, dass es nicht die Aufgabe anderer ist, dir diesen Schmerz zu nehmen, z.B. der Partner*in, Chef*in, Freund*in, Therapeut*in, wobei letztere dir helfen kann diese Elternrolle für dich selbst zu übernehmen.
  • Die Verantwortung für die Befriedigung der (Ego-) Bedürfnisse selbst zu übernehmen.
  • Die Trauer über das, was du verloren / verpasst hast, zuzulassen und dann loszulassen.
  • Das Selbst wiederzuentdecken / zu stärken / freizulassen.
  • Verinnerlichte Muster und Strukturen zu verändern, denn was mich früher schützte, kann mir heute meine Lebensfreude rauben und soziale Kontakte vermiesen.

Eins fühlst du dich dann, wenn die inneren Anteile in dir sich einig sind, in eine Richtung streben, wenn du dich selbst, in Bezug auf dein Verhältnis zu dir, als harmonisch beschreiben würdest.

Welche Methoden werden in der persönlichen Arbeit mit dem inneren Kind angewendet?

  • Briefe schreiben
  • Tagebuch schreiben
  • Meditationen
  • Innere Dialoge notieren
  • Listen führen
  • Träume aufschreiben und analysieren
  • Fragebögen ausfüllen
  • Rollenspiele in Gruppen oder mit FreundInnen
  • Imagination
  • Aufstellungen

Was hat mich bei der Beschäftigung mit dem Thema „Inneres Kind“ gestört, was ist mir schwergefallen?

  • Siehe oben: die Bezeichnung „inneres Kind“.
  • Die einzelnen AutorInnen klingen teilweise wie Wunderheiler*innen. Zwei Kolleginnen von mir, Gabriele und Beate, nannten dies in einem Autogespräch einmal die amerikanische Sprache.
  • Zu viel Esoterik, das hat etwas mit meiner Ablehnung gegenüber Wundern zu tun, die ich nur verstehe, wenn ich eingeweiht bin.
  • Am Ende steht bei fast allen Autor*innen das Heilungsversprechen. Ich muss nur die Übungen so befolgen, wie sie beschrieben sind, dann ich frei für immer.
  • Die Bewertungen. Bei einigen Autor*innen muss ich erst „soweit sein“, denn wenn ich die Übungen ablehne, dann bin ich eben bislang nicht „so weit“.
  • Philosophisch gesehen liegt für mich auch die Gefahr darin, aus gesellschaftlichen Themen, wie Misshandlungen, Missbrauch, wieder individuelle Themen zu machen, nach dem Motto: Ist ja schlimm, was dir passiert ist, aber da kann dir keiner helfen. Hilf dir selbst oder geh unter. Obwohl die Bewältigung solcher Traumata ja tatsächlich von mir abhängt, ist es trotzdem wichtig, die Gesellschaft nicht aus der Verantwortung zu entlassen und den Blick darauf zu richten, dass Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Missbrauch, Misshandlung egal welcher Art und Weise nicht als alltäglich akzeptieren und wir das als gegeben hinnehmen.

Was hat mich überzeugt?

  • Letztendlich geht es um das Erkennen und Akzeptieren von Mustern, die in einer Notsituation entstanden sind.
  • Diese Muster nicht zu verdammen, sondern sie als zu mir gehörend zu betrachten, mit Wohlwollen und Dankbarkeit, denn sie waren einmal sehr hilfreich.
  • Dass die Ursachen für diese Muster vergangen sind, die Emotionen und auch die Vermeidungsstrategien dieser Emotionen mir im Körper und in meinen Gedanken stecken. Die Emotionen sind heute nicht mehr gefährlich, auch wenn unsere Muster uns das glauben lassen.
  • Das „Innere Kind“ ist nur ein Synonym für die Reaktionen und Muster, ich kann auch Anteile dazu sagen oder innere Strukturen /Systeme, Familie oder Teams.
  • Der Weg in ein besseres, gesünderes Leben gelingt, wenn ich vor dem, was war, was ich in der Kindheit gelernt habe, nicht davonlaufe.
  • Alles, was dazu beträgt, mit mir selbst freundlicher und weniger destruktiv umzugehen, ist hilfreich, egal, wie ich es benenne.

Literaturliste

Arminger, Margret: Das innere Kind – Schlüsselerlebnisse, die uns befreien; 2002; 4. Aufl.; Heyne Verlag
Bach, George R., Torbet, Laura: Ich liebe mich – ich hasse mich. Fairness und Offenheit im Umgang mit sich selbst; 1985; Rowohlt Taschenbuch Verlag
Bartning, Peter: Arbeitspapier – Das innere Kind; www.beziehungsheilung.de
Bradshaw, John: Das Kind in uns – Wie finde ich zu mir selbst; 2000; Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur
Brown, Byron: Befreiung vom inneren Richter – Die Intelligenz der Seele erkennen; 2. Aufl. 2002; J. Kamphausen Verlag
Casriel, Dan: Die Wiederentdeckung der Gefühle; 1995; 12&12-Verlag
Chopich, Erika J.; Paul, Margaret: Aussöhnung mit dem inneren Kind; 17. Auflage; 2004; Ullstein-Taschenbuch-Verlag
Chopich, Erika; Paul, Margaret: Das Arbeitsbuch zur Aussöhnung mit dem inneren Kind; 1999, Ullstein-Taschenbuch-Verlag
Dennler, Jürg: Dan Casriels – New Identity Process mit Bonding; 1999; Franz-Bert-Müller Verlag
Kane, Sarah: Sämtliche Stücke; 2003; 3. Aufl.; rowohlt paperback
Laurenz, Lisa: Psychologische Schlüsselbegriffe: Das innere Kind; 09.09.2003; Hessischer Rundfunk; www.hr-online.de
Wolinsky, Stephen: Die dunkle Seite des inneren Kindes – Der nächste Schritt in der Quantenpsychologie; 2001; 3. Aufl.; Verlag Alf Lüchow

DU WILLST MEHR?

TRAGE DICH EIN UND ERHALTE EINE BENACHRICHTIGUNG, WENN ICH NEUE BEITRÄGE VERÖFFENTLICHE.

Ich sende keinen Spam! Erfahre mehr in meiner Datenschutzerklärung.