Achtsamkeit am Achten – Januar 24

Die Atemtherapeutin Susanne Wagner lädt jeden Monat am 8. dazu ein, 8 Momente vom Tag aufzuschreiben, die du mit wachen Sinnen wahrgenommen hast. Das ist eine Form der Achtsamkeit und es bedeutet, erst einmal wahrzunehmen ohne zu bewerten. Was siehst, hörst, spürst du? Wo im Körper spürst du es? Fühl es für einen Moment und erst dann schreib es auf. Dabei darfst du auch bewerten.

Achtsamkeit am Morgen

Achtsamkeit am Achten: gedeckter Frühstückstisch

Ich bin heute Morgen sehr unruhig aufgewacht. Diese Unruhe am Morgen klebt unangenehm an meinem Körper, sie will aus jeder Zelle herauskriechen und meinen Tag voll schleimen mit Mattigkeit und Unruhe. Ich mag dieses Gefühl nicht, aber es ist da. Vor mir liegt ein langer Tag, das Gefühl soll verschwinden. Also tanze ich, schüttle meinen Körper, stöhne, maule. Im Anschluss putze ich Zähne und grinse mich dabei unentwegt im Spiegel an. Das sieht so doof aus, dass ich lachen muss. Ziel erreicht: Die Unruhe ist befriedet. Jetzt kann ich frühstücken.

Achtsamkeit unterwegs

Achtsamkeit am Achten: Bauerndemo, Traktoren auf der Straße

Mein erster Weg führt mich heute in die WG. Auf dem Richard-Wagner-Ring erwischt es mich. Ich stecke im Stau fest. Auf versperrte Autobahn-Zufahrten bin ich vorbereitet, aber nicht darauf, dass Traktoren der Landwirte die Leipziger Innenstadt dicht machen. Ich fluche und schimpfe vor mich hin. Spüre, wie mir die schlechte Laune den Nacken hochkriecht, der Kiefer verkrampft. 10 Minuten später fällt mir mein Motto des Jahres ein. Schon beim ersten Stau schaufle ich nicht mehr quietschfidel Wolken? Ich lasse mir doch nicht von einer Demo den Tag versauen. Ich mache die 5-4-3-2-1 Übung und entscheide dann, dass ich im Moment nichts an der Situation ändern kann. Also kann ich die Wartezeit auch sinnvoll zum Lernen nutzen: Ich höre auf Spotify „Roter Faden Psychiatrie“.

Achtsamkeit am Achten: der Pleißemühlgraben in Leipzig

Vor der WG geht es in unsere Geschäftsstelle in der Jacobstraße. Montags ist Leitungsteam. Auf der Brücke über dem Pleißemühlgraben bleibe ich stehen. Ich liebe diesen Blick auf Wasser mitten in der Stadt. Reiher sehe ich heute keine, doch dafür scheint zum ersten Mal seit Tagen die Sonne und der Himmel ist strahlend blau. Die Kälte beißt mir ins Gesicht und treibt mir die Tränen in die Augen. Ich schließe sie für einen Moment und fühle mich gestört von dem lauten Hupen der Demonstranten auf dem Ring. Ich fokussiere mich auf das Wasser und den blauen Himmel. Das Hupen wird unaufdringlicher, dafür rückt das leise Rauschen des Wassers, das wilde Geschnatter der Spatzen und das heisere kra kra kra der Saatkrähen näher. Je länger ich lausche, desto mehr breitet sich etwas Freudiges in mir aus, eine Wärme in der Kälte. Jetzt bin ich bereit für das Leitungsteam.

Achtsamkeit in der Begegnung

Achtsamkeit am Achten: Daniel und Sylvia

Der erste Weg in der Geschäftsstelle führt in die Küche, zum Kaffeeautomaten. Der zweite Weg ins Büro meines Kollegen und Freundes Daniel. Wir sehen uns an und fallen uns in die Arme. „Meine drittliebste Frau“ begrüßt er mich. Mein Puls wird vor lauter Freude über unser Wiedersehen schneller und wir strahlen beide. Drei Wochen haben wir uns nicht gesehen und heute ist unser erster gemeinsamer Arbeitstag. Tief in mir spüre ich eine große Dankbarkeit, weil ich es wirklich als großes Glück empfinde, dass wir seit 20 Jahren so eng miteinander arbeiten. Ich vertraue nur wenigen Menschen blind, Daniel ist einer von ihnen. Das zu spüren, macht mich sehr froh. Wo ich das spüre? An der Wärme in meinem Bauch, an dem Lächeln in meinem Gesicht, an der Leichtigkeit, die meinen gesamten Körper bei seinem Anblick durchzieht.

Achtsamkeit im Büro

Achtsamkeit am Achten: Schreibtisch in der WG Walter

Meine erste Station der Woche: die WG Walter. Die erste Diensthandlung: ich helfe meiner Kollegin dabei, den Weihnachtsbaum von den Lichterketten zu befreien, den Baum auf die Terrasse zu schaffen und das Wohnzimmer von den lästigen Nadeln zu befreien. Im Büro bin ich für einen Moment orientierungslos. Womit beginnen, wenn für die anstehenden Aufgaben inzwischen viel zu wenig Zeit übrig bleibt? Die Unruhe klopft wieder an, der Nacken verspannt sich und die Verspannung macht sich in Schulterhöhe bemerkbar. Ich schließe die Bürotür, damit mich niemand sieht und mache drei Liegestütze. Das fällt mir schwer, die Arme knicken weg, aber ich halte durch. Drei Liegestütze schaffe ich, bevor ich mich auf dem Büroboden für einen kurzen Moment entspanne. Die Anspannung ist aus dem Körper raus und ich weiß, was ich als Erstes mache: Ich schnappe mir meinen Kalender und das Telefon und plane die Termine für diese Woche.

Wenn ich ehrlich bin, gibt es für mich nichts, was mich mehr anstrengt, als Sitzungen. Ich weiß, dass sie notwendig sind, aber wenn ich die Sitzung nicht leite, langweile ich mich schnell. Meine Aufmerksamkeit driftet weg, wenn es um Themen geht, die mich nicht tangieren. So auch heute wieder im Leitungsteam. Es geht um ein Thema, welches mich wirklich nur ganz am Rand interessiert und ganz unbewusst fange ich an mich zu beobachten. Ich lehne mich im Stuhl zurück, lasse den Blick durch den Raum schweifen und spüre meine Füße auf dem Boden, die Hände auf der glatten Stuhllehne. Die Worte rauschen an mir vorbei. Ich höre nur Fetzen des Gespräches. Erst als so ein Wortfetzen meine Aufmerksamkeit erregt, lenke ich meinen Fokus wieder auf die Sprecherin. Mein Körper richtet sich auf und ich bin wieder voll da. Beteilige mich am Gespräch.

Achtsamkeit am Abend

Achtsamkeit am Achten: Screenshot der Videotelefonie zwischen Sylvia und ihrem Bruder Hans.

Mein klingelt Telefon. Bruders Hans. Will ich oder will ich nicht? Mein erster Impuls: das Gespräch wegdrücken. Im zweiten Impuls nehme ich an. Ich bin angespannt, verunsichert. Spüre, wie vorsichtig auch er ist. Bloß kein Thema anschneiden, welches auch nur in die Nähe unserer Eltern rückt. Wir sprechen über Arbeit, Kinder und Enkelkinder und landen in der Erinnerung an unsere Uroma. Mit jedem Satz lässt meine Anspannung nach, ein Hauch der kindlichen Vertrautheit stellt sich ein. Im gemeinsamen Lachen spüre ich, wie ein Körnchen der Verbundenheit sich in mir festsetzt. Obwohl ich auch nach diesem Gespräch die alte Wunde in mir spüre, ist da noch etwas anderes. Ich spüre die Gewissheit, dass die Narbe auf der Wunde Herkunftsfamilie geschlossen ist, unser Kontakt sich nach fast 40 Jahren normalisiert. Nachdem wir aufgelegt haben, nehme ich mich einmal fest in den Arm und ein erleichtertes Seufzen dröhnt durch meinen Körper.

Dieser Tag war wieder eine schöne Übung darin, auf meine Sinne und meine Körperreaktionen zu achten und meine Wahrnehmung zu schulen für die kleinen Reaktionen. Dir gefällt das und du hast Lust, es auch einmal auszuprobieren? Schau dir Susannes Anleitung an. Der nächste 8. kommt ganz sicher und dann mach doch einfach mit.

Aufstehen und in Würde strahlen!

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7 Kommentare

  1. Sylvia Tornau 14. Januar 2024 um 13:16 Uhr

    Liebe Silvia, danke für deinen Kommentar. Ich liebe beide Formate sehr, wobei ich bei Achtsamkeit am Achten wirklich eher darauf achte, was erlebe ich und wie empfinde und reagiere ich, ich nutze es also eher als Tool für Selbstbeobachtung. Bei 12 von 12 hingegen sind mir die Fotos wichtiger, da geht es mir eher um die Dokumentation des Tages, was habe ich erlebt, unternommen, womit war mein Tag gefüllt. Herzliche Grüße Sylvia

  2. Sylvia Tornau 14. Januar 2024 um 13:12 Uhr

    Herzlichen Dank für deine Rückmeldung, liebe Silke.

  3. Sylvia Tornau 14. Januar 2024 um 13:11 Uhr

    Liebe Andrea, ich musste gerade sehr schmunzeln, bei deiner Einschätzung, dass der Streik der Landwirte eine Einladung zu Achtsamkeitsübungen war. So betrachtet lässt sich ja vieles im Alltag, was nicht so läuft, wie wir es erwarten, als Einladung zu Achtsamkeitsübungen übersetzen. Eigentlich alles, was nicht so läuft, wie erwartet und woran ich nichts ändern kann, sind auch gute Übungen für Selbstregulation. Reiz – Pause – Reaktion. Danke für den Gedankenschubser, so weit hatte ich das noch gar nicht betrachtet. LG Sylvia

  4. Silvia Kanth 9. Januar 2024 um 17:33 Uhr

    Liebe Sylvia,

    Achtsamkeit am Achten finde ich ja großartig, bisher kannte ich nur 12 von 12 was ich auch sehr liebe.

    Sehr spannend, was du erlebt hast und wie du damit umgegangen bist.

    Ganz viele Grüße
    Silvia

  5. Silke 9. Januar 2024 um 17:01 Uhr

    Liebe Sylvia,
    wie dein Beitrag beginnt meiner auch mit der Traktor-Demo und jede von uns nimmt sie anders wahr. Danke für deine – sehr persönlichen- Eindrücke. Herzlichst Silke

  6. Andrea 9. Januar 2024 um 16:37 Uhr

    Dein bewegt bis entspannter 8er Januar hat mir mein inzwischen sehr langweiliges Krankenlager versüßt.

    Ich konnte richtig mitfühlen bei deinen Worten, sowohl die Unruhe am Morgwn, die große Freude und Dankbarkeit bei der Begegnung mit deinem Kollegen und abends die anfängliche Ambivalenz beim Telefonat mit deinem Bruder.

    Der Traktorstreik am 8. war natürlich eine super Einladung zu Achtsamkeitsübungen. Und ich höre jetzt gleich mal in deine Spotify Empfehlung rein.

    Danke dir für diesen wunderbaren Beitrag zum Jahresauftakt.

    Herzliche Grüße

    Andrea

  7. Susanne 9. Januar 2024 um 06:22 Uhr

    Liebe Sylvia
    „Die Unruhe ist befriedet.“ Was für ein besonderer Moment! Danke fürs Teilen deines 8. Januars mit deinen achtsamen Erlebnissen. Ich habe lächelnd mitgelesen und mitgestaunt, wie jeder Moment das Potenzial zur Wandlung in sich trägt und du dir das schenkst.
    Herzlich,
    Susannne

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Hallo, ich bin Sylvia

systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit Paaren, Familien und Einzelpersonen daran, negative Kindheitsprägungen und frühe Traumata zu lösen und ein Leben voller Selbstvertrauen, inneren Frieden und emotionaler Stabilität zu führen.
Für ein erfülltes Leben in Verbundenheit.

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