Freude im Alltag finden: die kleinen Momente mit der größten Kraft

Lange Zeit in meinem Leben habe ich Freude kaum wahrgenommen. Nicht, weil es keine schönen Momente gab, sondern weil mich niemand je auf die Idee gebracht hatte, Freude im Alltag zu suchen. Freude schien etwas für andere zu sein, für Menschen mit leichteren Geschichten, oder für besondere Anlässe, wie die Geburt meiner Tochter. Ich freute mich nicht, als ich die erste eigene Wohnung bezog, nicht, als ich endlich meine Diplomarbeit fertig hatte, und auch nicht nach erfolgreichem Abschluss der Fahrschule. Das alles hielt ich für selbstverständlich.

Erst, als ich vor vielen Jahren, auf Empfehlung einer Therapeutin begann, ein Freudetagebuch zu führen, änderte sich dies. Nicht sofort, aber allmählich. Die Aufgabe hieß: jeden Abend drei kleine Freudemomente aufschreiben. Oft saß ich minutenlang da und fand nichts. Alles wirkte zu banal, zu unbedeutend, zu wenig. Die Therapeutin ermutigte mich, immer weiterzumachen. Also schrieb ich weiter. Tag für Tag, Monat für Monat. Ich spürte die Freude nicht, hielt mich aber daran, aufzuschreiben, was am Tag gut gelungen war. Irgendwann bemerkte ich, dass sich meine Wahrnehmung veränderte. Dass ich aufmerksamer wurde und innerlich innehielt, wenn ein Lichtstreifen den Tisch berührte oder eine fremde Person mir ein Lächeln schenkte. Heute ist es selbstverständlich geworden, Freude im Alltag zu finden, selbst in dichten Zeiten. Mein Fokus hat sich verschoben. So, wie ich früher unbewusst nach Problemen und Schwierigkeiten Ausschau hielt, so halte ich heute Ausschau nach Dingen, Begegnungen und Momenten, die mich berühren und zum Lächeln bringen. Ich gehe viel offener durch den Tag, mit diesem neugierigen Fokus, der mich beschenkt.

Mit diesem Beitrag möchte ich dich einladen, deinen eigenen Freudemuskel zu trainieren und die kleinen Lichtpunkte deines Alltags bewusst wahrzunehmen.

Was dich in diesem Beitrag erwartet:

Was in deinem Körper geschieht, wenn du Freude empfindest

Freude ist ein körperlicher und emotionaler Prozess, der dein Nervensystem beruhigt, positive Botenstoffe freisetzt, Stress reduziert und deine Wahrnehmung erweitert. Sie stärkt deine innere Stabilität und schafft die Grundlage für Selbstverbundenheit. Freude gehört zu den positiven Emotionen, aber sie ist weit mehr als ein Gefühl. Sie ist ein komplexes Zusammenspiel aus neuronalen, körperlichen und psychischen Prozessen, die sich gegenseitig verstärken.

Wenn du einen Moment als wohltuend oder sicher wahrnimmst, geschieht Folgendes:

1. Dein Nervensystem wechselt vom Schutzmodus in den Kontaktmodus

Der Sympathikus (Alarm- und Aktivierungssystem) fährt leicht herunter, der Parasympathikus, genauer gesagt der ventrale Vagus, wird aktiver. Das bedeutet: Dein Körper erkennt „Ich bin gerade nicht in Gefahr“.

2. Positive Neurotransmitter werden freigesetzt

Je nachdem, wie die Freude entsteht, sind vor allem vier Botenstoffe beteiligt:

Dopamin
Steigert deine Motivation, fördert deine Handlungsfreude und macht dich empfänglich für neue Erfahrungen. Es wird aktiv, dein System Lust oder Neugier oder Belohnung spürt.

Serotonin
Hebt deine Grundstimmung, senkt Ängstlichkeit und unterstützt dein emotionales Gleichgewicht. Es entsteht in Momenten, die mit innerer Ruhe, Stabilität und Wohlbefinden verbunden sind.

Endorphine
Lindern deine Anspannung, erzeugen Wohlbehagen und machen dich innerlich weich. Sie sind körpereigene Schmerz- und Stressregulatoren, die bei Bewegung, Lachen oder einem Gefühl von Leichtigkeit freigesetzt werden.

Oxytocin
Es ist das Bindungs- und Vertrauenshormon. Oxytocin stärkt das Gefühl von Verbundenheit, senkt Stresshormone und vermittelt Sicherheit. Es entsteht besonders in Momenten sozialer Nähe.

3. Stresshormone sinken ab

Wenn Freude entsteht, wird gleichzeitig weniger Cortisol und Adrenalin ausgeschüttet. Dein Nervensystem reguliert sich, der Körper entspannt und du kannst wieder klarer denken.

4. Deine Wahrnehmung weitet sich

Die Forschung zeigt: In Momenten echter Freude öffnen sich unsere Wahrnehmungsfenster. Wir sehen Farben intensiver, hören differenzierter, nehmen Feinheiten besser wahr und fühlen uns präsenter.

5. Freude stärkt neuronale Verbindungen

Regelmäßige kleine Freudemomente wirken wie ein Training für das Gehirn. Sie fördern neuroplastische Veränderungen, also die Fähigkeit des Gehirns, neue, positive Verknüpfungen aufzubauen. Das bedeutet: Je öfter du Freude bemerkst, desto leichter kann sie entstehen.

87 Freudemomente, die du im Alltag finden kannst

Viele dieser Freudemomente habe ich aus meinem eigenen Freudetagebuch genommen. Manche davon hätte ich früher kaum bemerkt, weil sie auf mich so unscheinbar wirkten. Vielleicht geht es dir ähnlich. Diese Liste lädt dich ein, diese kleinen Augenblicke in deinem Alltag zu entdecken und ihnen ein wenig mehr Aufmerksamkeit in deinem Alltag zu geben.

1. Die feinen Momente mit dir selbst

(Wahrnehmung, Körper, Ruhe, inneres Ankommen)

  1. Der erste warme Sonnenstrahl am Morgen.
  2. Jemand lächelt dich spontan an.
  3. Das Geräusch von Regen am Fenster.
  4. Ein warmer Schluck Tee in perfekter Temperatur.
  5. Der Duft frisch frisch gewaschener Bettwäsche.
  6. Barfuß über Gras laufen.
  7. Dein Lieblingslied hören.
  8. Einen bewussten, tiefen Atemzug nehmen.
  9. Ein Blick voller Wärme trifft dich.
  10. Eine Katze, die an deinem Bein vorbeistreift.
  11. Du läufst auf knirschendem Schnee.
  12. Du zündest eine Kerze an.
  13. Warmer Wind streift deine Haut.
  14. Dir ist ein Satz beim Schreiben gelungen.
  15. Du wirst unerwartet in ein angenehmes Gespräch verwickelt.
  16. Du gönnst dir eine Pause, obwohl es scheinbar gar nicht passt.
  17. Der Geruch von nasser Erde.
  18. Der Duft von frisch gebrühtem Kaffee.
  19. Ein Vogel singt sein Lied auf deinem Balkon.
  20. Ein Film bringt dich auf gute Art zum Weinen.
  21. Du spürst die Wärme deiner Hand auf deinem Bauch.
  22. Du hast in einem unerwarteten Moment das Gefühl, verstanden zu werden.
  23. Eine Bachkantate macht dir Gänsehaut.
  24. Eine Wärmflasche gibt dir das Gefühl von Geborgenheit.
  25. Unter der warmen Dusche verspürst du ein wohliges Körpergefühl.
  26. Du hast etwas geschafft, was du dir nicht zugetraut hast.
  27. Ein Buch, packt dich so beim Lesen, dass du nicht aufhören kannst.
  28. Du gibst dich einem Spaziergang in deinem Tempo hin.
  29. Die gesammelten Kastanien klappern in deiner Tasche.
  30. Du hörst ganz in der Nähe Lachen eines Kindes.

2. Freude, die aus Begegnung, Verbundenheit und Erinnerung entsteht

(soziale Wärme, liebevolle Kontakte, kleine Resonanzmomente)

  1. Du beißt in einen frischen Apfel, den dir der Verkäufer im Obstladen geschenkt hat.
  2. Eine Einladung zum Frühstück bei deiner Nachbarin.
  3. Ein Picknick auf der Frühlingswiese und weiter Himmel über dir.
  4. Du erhältst eine berührende Nachricht.
  5. Dich überkommt die Erkenntnis: „Ich habe gut für mich gesorgt.“
  6. Ein Kompliment überrascht dich und du kannst es annehmen.
  7. Deine warmen Hände trösten dich.
  8. Deine Freundin legt ihre Hände in deine und langsam werden sie warm.
  9. Du entdeckst einen Raum, in dem du du sein darfst.
  10. Mit Freund:innen am Lagerfeuer sitzen.
  1. Deine Lieblingstasse in der Hand erinnert dich an einen Urlaub.
  2. Ein besonders kuscheliges Kleidungsstück, gibt dir das Gefühl von Verbundenheit.
  3. Die ersten Minuten nach dem Aufwachen.
  4. Eine Nacht, in der du erholsam schläfst.
  5. Ein Stück Schokolade essen.
  6. Einen vertrauten Weg gehen und die Menschen grüßen.
  7. Eine Blüte von Nahem betrachten.
  8. Du genießt einen Moment der Stille.
  9. Du schmiegst dich an den warmen Rücken eines Menschen.
  10. Für einen Moment hast du das Gefühl, nicht kämpfen zu müssen.
  11. Du liest eine Zeile in deinem Gedicht, die dich berührt.
  12. Eine Magnolienblüte im Frühling.
  13. Ein unerwartetes Lächeln auf der Straße.
  14. Du hörst einen Song aus deiner Jugend.
  15. Du triffst eine Entscheidung, die sich gut anfühlt.
  16. Der Rand von einem Stück Kuchen bröckelt und du naschst.
  17. Du cremst deinen Körper nach dem Baden ein.
  18. Ein Morgenspaziergang mit deinem Hund im Nebel.
  19. Das erste Eis im Frühling.
  20. Mit einem Kind durch Pfützen hüpfen.

3. Kleine Augenblicke von Weite, Natur, Klarheit und innerer Orientierung

(Momente, die die Welt größer machen und dich gleichzeitig zurück zu dir bringen)

  1. Ein Spaziergang am Wasser.
  2. Deine Füße im Sand eingraben.
  3. Der Geruch von Zitronenschale.
  4. Das vertraute Summen deines Kühlschranks.
  5. Ein Mantel, der dich warm umschließt.
  6. Das knisternde Feuer im Kamin.
  7. Sandbadende Vögel beobachten.
  8. In eine Decke eingemummelt unter dem Sternenhimmel sitzen.
  9. Ein neuer Stift gleitet über das Papier.
  10. Du findest ein altes Foto von deinem Lieblingskuscheltier.
  11. Dein aufgeräumter Tisch.
  12. Warmer Sommerregen auf deiner Haut.
  13. Du beobachtest Rehe auf dem Feld.
  14. Über dir am Himmel zieht ein Gänseschwarm.
  15. Der Duft nach frisch gemähtem Gras.
  16. Ein Sonnenuntergang.
  17. Mit der Zunge Schneeflocken fangen.
  18. Ein Lichtpunkt, der dich blendet.
  19. Der Klang eines Windspiels.
  20. Mit den Händen Kuchenteig kneten.
  21. Eine Feder, ein Stein, ein Blatt, etwas, das du im Wald aufhebst.
  22. Ein kurzes Wegdämmern in den Mittagsschlaf.
  23. Frische Luft in einem überhitzten Raum.
  24. Der Duft wilder Rosen.
  25. Einen Seeigel finden.
  26. Steine sammeln.
  27. Etwas zum ersten Mal machen.

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About the Author: Sylvia Tornau

„Aufstehen und in Würde strahlen“ ist mein persönliches und berufliches Leitbild. Ich bin systemische Therapeutin und Trauma-Coachin – und zugleich eine Frau mit eigener Geschichte. Mein Blog entstand aus meiner Sehnsucht, zu schreiben, und aus dem Wunsch, sichtbar zu machen, wie wir mit unseren Verletzungen leben, wachsen und uns selbst näherkommen können. Ich schreibe, um Verbindung zu schaffen, zu mir selbst und zu dir. Ich glaube zutiefst daran, dass wir wenig hilfreiche Muster mit einer großen Portion Selbstfürsorge in Lebendigkeit und Lebensfreude verwandeln können. Und dass Frieden in uns immer auch ein leiser Anfang von Frieden um uns ist.

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Ich bin Sylvia, systemische Therapeutin, Trauma-Coach und Bloggerin. Die menschliche Psyche und die Frage „Warum ticken wir, wie wir ticken“ treibt mich schon seit meiner Jugend an. Heute unterstütze ich Frauen dabei, alte Prägungen loszulassen, ihre Emotionen zu regulieren und im eigenen Leben zu Hause zu sein.

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